Das Private ist politisch und das Politische ist privat, verkündet ein alter Sponti-Spruch.
Der Stellplatz am Flugplatz in Dessau ist spannend. Der Mann im Tower kassiert Campgebühren. Während der Mann mir die Rechnung druckt, fragt eine Dame aus der anfliegenden Maschine:
"Haben Sie keinen Platz auf Asphalt? Wir können nicht auf Gras rollen."
"Damit können wir nicht dienen. Dann müssen Sie ihre Maschine auf Gras schieben."
Den Sonntag in Dessau lässt sich bei herrlichem Sonnenschein, unerhörter Septemberhitze und freiem Eintritt in die Museen genießen. Nur das Technik-Museum, welches Flugpionier Junkers und seinen Maschinen gewidmet ist, verlangt weiterhin neun Euro Eintritt.
Doch Dessau hat mir soviel an diesem Sonntag zu bieten, dass mir ein Blick in die Museumhalle und über das Gelände genügt.
Ob die Russen bei ihrem Abzug aus der DDR Kampfflugzeuge zurück gelassen haben?
Sollte man sich angesichts dröhnender Triebwerke über dem Baltikum und der Ostsee die Leistungsfähigkeit solcher "Abfangjagdflugzeuge" verdeutlichen?
Soviel nur kurz vom Technik-Museum Hugo Junkers, der einen Ehrenplatz in der Stadtgeschichte von Dessau einnimmt.
Doch selbst als Reisender auf Rädern gibt es viel mehr für mich in Dessau.
Dessau ist ein kleines, übersichtliches Städtchen, durch die Bahnlinie geteilt. Fahrräder schiebt man unter dem Bahnhof auf die andere Stadtseite, wenn man nicht die Brücke nutzt. Der Spruch von Hans Christian Andersen auf den Kacheln unter dem Bahnhof gefällt mir als Titelbild dieser Geschichte.
Den "längsten Plattenbau der DDR" kann die Kamera natürlich nicht in Gänze auf's Bild bringen. Den Rest der "Platte" muss man sich vorstellen. Zu bedenken ist, dass Plattenbauten mit Fernwärmeheizung, Bad und Toilette zu damaligen Zeiten komfortabel und daher beliebt waren.
Manch altem Baubestand bliebt wie in Dessau oder in Gelsenkirchen nichts anderes übrig als der Abriss.
Neben lern- und lebensunfähig gibt es auch "wohnunfähig". Solchen Armutszuwanderer helfen kaum mehr einfachste Notunkünfte.
"Buchautor Sarrazin kritisiert die späte Reaktion auf Sozialbetrug durch Armutmigration....", meint die WELT. Doch wer keinen zumutbaren Brotverdienst findet wie der Kapellmeister, der als Ehrenamtlicher den Arbeitslosen-Chor MALTA in Münster gegründet hat, den darf, soll und muss ja der Steuerzahler unterhalten.
Schließlich lassen sich auch ohne großen Energieaufwand schöne Wanderungen wie auf den "Underberg" im gepflegten Heim unternehmen.
Ganz so unrecht hat der widrige Sängerknabe ja nun nicht mit seiner beschaulichen Karriere als Kapellmeister in MALTA wie als Gesang- und Klaviervirtuose vor Demenzkranken in Altersheimen.
Immerhin steht der widrige Sängerknabe mir weitaus näher als dieser Hohe Herr auf dem Sockel. Was nützt es, sich vergangener Regenten zu erinnern angesichts der Reputation heutigen Herrscher?
LEOPOLD FRIEDRICH FRANZ GEB. 10. AUGUST 1740 REG. SEIT 20. OKTOBER 1758 GEST. 9. AUGUST 1817
In Dessau erfreut mich und andere das sonntägliche Blasorchester am längsten Plattenbau.
Ein paar Takte rühren Herzen - selbst noch in digitalerWiedergabe.
Die Backsteinkirche in Dessau dient mittlerweile Kulturveranstaltungen.
Das lässt sich aus dem Plakat an der Kirchenmauer schließen:
MITTELDEUTSCHES THEATER in der MARIENKIRCHE
Dem Stadtmuseum in Dessau gilt mein erster Besuch vor der Mittagspause.
Zumeist reicht ja ein Türschild an der Klingel. Bei denen von Hochwohlgeborenen darf es dann schon etwas mehr sein, wie das Wappen zeigt.
Die drei Herren hoch zu Roß verabschieden sich vor ihrer Reise. Vor meinem Reiseantritt winkt meine Frau. Das reicht.
"Auf geht's!"
"Auf geht's" hoch zu Roß oder auf dem Rad, denn "Reisen ist Leben!"
Das Stadtmuseum Dessau macht mich mit Gottfried Polysius, dem Schlossermeister, Geldschrankfabrikanten und Unternehmensgründer bekannt.
Gottfried Polysius (* 27. November 1827 in Dessau; † 21. April 1886 ebenda; vollständiger Name: Andreas Ernst Gottfried Polysius) war ein deutscher Schlosser-Meister und Unternehmensgründer.
Das Stadtmuseum Dessau stellt selbstverständlich auch Hugo Junkers vor, den Pionier im Flugzeugbau.
Ist es nicht erstaunlich, wie Experten einer umtriebigen Familiendynastie mit Bügeleisen, Gasboilern und schließlich mit Flugzeugen aus Metall Geld verdienten?
Ein 6-Zylinder-Reihen-Dieselmotor für Langstreckenflieger erinnert mich an meinen 5-Zylinder-Reihen-Dieselmotor, der anfangs auf 30.000 Kilometer kein Öl und mittlerweile auf 1.000 Kilometer einen Liter Öl verbraucht.
Dessau war also auch als Motorschmiede führend im Geschäft - im Krieg, "dem Vater aller Dinge".
Neben findigen Köpfen, die unter einer Leitidee "Volksbedarf statt Luxusbedarf" Möbel, Wohnungen, Häuser und Fabrikationsstätten ersonnen haben, waren Handwerker Voraussetzung dafür, dass diese Ideen Gestalt annahmen.
Badewasser in unserer ersten Wohnung bei München mussten wir noch in einem Holzofen erhitzen. Dageben sind diese Gasboiler zur Warmwasseraufbereitung ein riesiger, technischer Fortschritt.
Heute bauen Roboter in "dunklen Fabriken" automarisch Autos. Die Fabriken sind deswegen dunkel, weil darin kein Mensch mehr arbeitet, also braucht niemand Licht.
Die "Dessauer Gasplätte" war für 18,50 Mark ein Verkaufschlager. Allerdings fehlt mir der Vergleich, was man zu der Zeit für sein Geld sonst noch bekam.
Führung durch das Rathaus in Dessau
Nach dem Besuch des Dessauer Stadtmuseums und erholsamer Mittagspause beginnt um 17.00 Uhr eine Führung durch das Dessauer Rathaus, wobei wir auch auf den 41 Meter hohen Rathausturm dürfen. Mir fällt der Wegweiser zum Bürgeramt auf, welche gebräuchliche Sprachen der Kunden berücksichtigt.
Es ist für mich immer ein erhebendes Erlebnis, die schöne Stadt aus der Vogelperspektive zu überblicken.
Nachdem wir noch dem Standbild von Gorbatschow neben der Eisdiele am Marktplatz unsere Hochachtung erwiesen haben, führt uns der stämmige Dipl.-Bibliothekar durch das Rathaus.
Ob diese in Stein gehauene Fratze über dem Eingangsportal Hintertanen und Steuerzahler darauf einstimmen soll, was sie im Amtsgebäude erwartet?
Während OB Reiter in München an diesem Sonntag das erste Oktoberbierfass ansticht, bleibt in Dessau der Stuhl vom Oberbürgermeister frei. Nur ein, zwei, drei Damen wollen bei der Führung dort Platz nehmen, mit gewichtiger Miene den Telefonhörer ans Ohr halten und sich fotografieren lassen.
Im Gästebuch von Dessau dürfen sich ausgezeichnete Steuerzahler verewigen, doch im Ehren- oder Goldenem Buch tragen sich nur höchst prominente Personen ein.
Es gibt nur zwei klimatisierte Räume im Rathaus. Das eine ist dies Zimmer für Trauungen, das andere ist mir entfallen.
Fast alle Besucher bewundern diese bunten Glasfenser.
Dies Kunstwerk aus dem Jahr 1952 im Sitzungssaal war Jahre lang abgedeckt, zeitweise für eine kurze Periode aufgedeckt, dann wieder abgedeckt, bis man sich jetzt entschloß, es zu restaurieren und als ständige Attraktion den Besuchern zu bieten.
Oben vom Rathausturm blickt man auf Dessaus Gute Stube, den Marktplatz.
In den sauber hergerichteten Wohnviertel steht ein ruiniertes Produktionsgebäude, dem wohl nur noch der Abriss bevorsteht.
Doch alles in allem mag man in Dessau wohl ganz gut leben und wohnen können.
Auch hier steht im Innenstadtbereich einer dieser alten Ziegelsteinbauten - Renovierung oder Abriss lautet dafür wohl die Frage.
Brandenburg an der Havel
Gegen Mittag trudelt meine Klause am Stellplatz in Brandenburg an der Havel ein. Die Fahrt bei 27 Grad Celsius heizt das Auto auf, der Kühlschrank kommt dagegen kaum an. Doch ohnehin sind fast alle Vorräte verbraucht.
Ein Stadtbesuch führt zum Dom auf der Insel.
Experten wissen um die Symbolik des Herrn mit Schlüssel und Krone - doch ohne Schuhe.
Die Fundamente des Doms strahlen gleichsam eine unverbrüchliche Ruhe und Festigkeit aus. Doch gerade Ruhe fehlt, wenn zuviel Eindrücke auf mich einströmen und mir Pausen fehlen.
Ohne disziplinierte Arbeit wären Jahrhunderte erfolgreiches Abendland zu kultureller und technischer Blüte nicht möglich gewesen.
Komponisten, Baumeister, Dichter, Bildhauer, Könige, Dichter und Denker haben trotz aller Irrungen und Wirrungen immer wieder nach Pest, Katastrophen und Kriegen mit unendlich fleißig sich mühenden Menschen das Land immer wieder zu neuer Blüte gebracht.
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es wert wäre, das Alte Europa zu bewahren und zu erhalten.
Tichy generiert in einem Monat wohl eine Million Abrufe für das Interview mit Sarrazin. Doch selbst wenn eine Million Menschen das Video hören, was ändert das?
Obgleich es ja nicht schicklich und schon gar nicht politisch korrekt ist, religiotische Gefühle zu verletzten, ist letztlich Humor die schärfste Waffe die "unumstößliche Allerhöchste Autorität des Allmächtigen" ins Lächerliche zu ziehen.
Loriot oder Vicco von Bülow wurde 1923 in Brandenburg geboren. Fünfundzwanzig Waldmöpse, erkenntlich an kleinen Hörnern, einer platten Nase und einem Ringelschwanz hat Brandenburg zu Ehren Loriots über die Stadt verteilt. Weniger Glückliche des Jahrgangs 1923 gingen in der Hölle von Stalingrad elend zu Grunde.
Weiter kennzeichnen Gewässer und Backsteinbauten die Stadt Brandenburg an der Havel.
Am Samstag feierten die Menschen in Dessau ihren Museumtag, am Sonntag feiern die Menschen in Brandenburg an der Havel ein Straßenfest und einen Markt.
Angesichts fehlener Kultkunden haben Verantwortliche dies Kirchenschiff zur Markthalle umfunktioniert.
Bekommt das Wort "Konsumtempel" so seinen tieferen Sinn?
Wo einst im Kreuzgang und Innenhof Geistliche und Laien gebetet und gearbeitet haben, vergnügt sich nun Jung und Alt gut beschirmt bei Speis' und Trank.
In Berlin wurde ja schon mal ein vermeintlicher Löwe als Wildschwein entlarvt. In Brandenburg an der Havel tummelt sich ein sonst so scheuer Reiher auf dem Anlegesteg. Über ihm parken und fahren Autos auf der Uferstraße.
Verabschieden wir uns aus Brandenburg an der Havel mit einem Waldmops. Denn nach der Nacht auf dem einsamen Stellplatz beginnt die "Arbeitswoche-des-Rentner-Reisenden" damit, erst einmal Kaufland zu finden.
Von Kaufland Brandenburg a.d. Havel bis Rathenow
Der denkbar unwirtliche Stellplatz in Brandenburg will alle 120 Minuten einen Euro für Strom. Dort gibt es sonst nichts, kein Wasser, keine Sanitärentleerung, Bezahlung über Handy-App. Daher geht es morgens um 7.00 Uhr zu Kaufland, um Proviant für die Woche zu bunkern.
Diesen Herrlichkeiten sorgen für die nächsten Tage.
Kaufland verlangt für die dünnen Plastiktüten, in die man Äpfel, Obst und Gemüse packt, einen Cent. Mit den Schätzen gibt es im geschützten Autoraum ein fürstliches Frühstück.
Neben mir auf dem Parkplatz palavern Gebäudereiniger bei ihrem Frühstück über Politik.
Rathenow überrascht mich mit einem kostenlosen Stellplatz, der Strom für einen lächerlich geringen Preis verkauft: 17 Cents/ KWh.
Dazu verbindet mich kostenlos starkes WLan mit der Welt.
Damit steht meinem online Hobby als Geschichtenerzähler nichts im Wege.
Wie in Brandenburg an der Havel bestimmt der Fluß auch in Rathenow Freizeitaktivitäten.
Die alte Häuser stehen an der Backsteinkirche.
Auf den Gerüsten an der Kirche arbeiten drei Experten, die Monate lang den Bau innen wie außen renovieren.
Besonders beeindruckt mich die Atmosphäre auf dem alten Friedhof. Über einen Grabstein huscht ein Eichhörnchen.
Willi Mücke wurde nicht einmal 18 Jahre alt. Die Hinterbliebenen gedenken seiner mit dem Spruch auf dem Stein:
Keine Träne heißer rinnt, als Eltern weinen um ihr Kind.
Am Sonntag heizte die Sonne bei 27,5 Grad Celsius noch einmal tüchtig ein, die Nacht zum Dienstag fällt das Thermometer auf vier Grad. Nebel schwabert über der Havel, als mich morgens E-Bike Rosinante am Wasserwanderstützpunkt Rathenow über die Brücke zum Kaufland fährt.
Rasieren mag sich der alte Straßenhund nicht vor den Spiegeln der Sanitäranlage im Kaufland. Doch an Kaufland ist werktags zwischen 7.00 und 22.00 Uhr nichts auszusetzen.
Nach der vier Grad kalten Nacht schenkt Rathenow mir einen zweiten, wunderbaren Sonnentag auf dem kostenlosen Stellplatz mit Strom, Wasser und Wifi.
Ein kleiner Radausflug nach Premnitz lässt mich mehr von Land und Leuten schnuppern.
Auf dem Oktoberfest in Premnitz kostet das "Mass Bier nur 9,90 Euro".
Ein solches Angebot von Moped-Autos der Marke Aixam ist mir auf meinen Reisen bisher nirgendwo aufgefallen - nicht einmal beim Hersteller in Frankreich. Angebot und Preise gibt es nur im Netz.
Ansonsten macht Premnitz den Eindruck, als gäbe es nur zwei Auswege aus dem Ort - mittels Reisebüro oder Friedhof.
Bei schönem Wetter, Sonnenschein mit Aussicht auf das Oktoberfest lässt es sich ja noch leben in Premnitz, doch was kommt in den Monaten danach?
Gegenüber Premnitz erscheint mir die Große Kreisstadt Rathenow geradezu ein mondänes Pflaster zu sein.
Mit Havel-Schleusen, Kaufland, Toom-Baumarkt, Tankstellen und dem größten Sandsteindenkmal der Welt und einem kostenlosen Stellplatz ist Rathenow erste Wahl.
Wer sich mit der Geschichte dieses Denkmals aufhalten will, findet bei Wiki vermutlich den Grund für das Heldendenkmal mit den angeketteten Gestalten rundherum:
Nach dem Schwedeneinfall 1674/75 fand während des Schwedisch-Brandenburgischen Krieges am 25. Juni 1675 die Schlacht von Rathenow statt, die die brandenburgischen Truppen gewannen. In der Schlacht bei Fehrbellin erlitten die Schweden drei Tage später die kriegsentscheidende Niederlage.
Die Landesgartenschau 2006 hat wohl richtig viel Geld in die Stadt gespült, womit der Optik-Park sich gestalten ließ.
Am zweiten Tag gelingt es mir, den Zugang zum Park und den Weg über diese Brücke zu finden.
Der Bismark-Turm über der Stadt war mir anfangs schon aufgefallen. Der Zugang über einen Havel-Weg durch Kleingartenanlagen war etwas schwieriger zu finden.
Ohne den schönen Stellplatz hätte mich Rathenow nicht zwei Tage lang bezaubern können.
Doch mit mehr Muße fiel mir dann bei Betrachtung dieser vier fröhlichen Gesellen auf, dass der Rotzlümmel mit der Bierflasche in der Hand in regelmäßigen Abständen ins Wasser spukt.
So lernt der Besucher in Rathenow, was ein "Schleusenspucker am Stadtkanal" ist und kann.
Diese gewaltige Maschine im Optik-Park ist ein .... Wiki weiß mehr davon:
Das Rolfsche Fernrohr ist ein weltweit einzigartiges Brachymedial-Fernrohr. Erbaut wurde es von Ingenieur Edwin Rolf in den Jahren 1949 bis 1953 und stand bis 1994 auf seinem Privatgrundstück.
Wenn schon, denn schon: "Weltweit größtes Brachymedial-Fernrohr im Optikpark"
Kyritz und Wusterhausen
Seit zwei Wochen führt mich meine kleine Reise durch Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und jetzt durch Brandenburg. Nach den Städten Leipzig, Bitterfeld, Dessau, Brandenburg/Havel, Rathenow gibt mir der Stellplatz Kyritz zwei Tage Pause.
Vor den Doppeltürmen der eveangelischen St. Marien Kirche stellt Kyritz Stellplätze mit Stromanschluß bereit. Das Brandenburger WLAN-Netz begünstigt meine Arbeit als Bilder-Blogger. Der Preis von 10 Euro/Nacht umfasst eine saubere Sanitäranlage, wo mich ein Euro fünf Minuten lang heiß duschen lässt.
Der Marktplatz ist aufgeräumt. Blumen und Stelltafeln zur Stadtgeschichte, kleine Geschäfte, ein Kaffee und ein Restaurant säumen den Platz. Die Apotheke wirbt an an der Hauswand mit der Aufschrift
Königl.priv. Apotheke Drogen Handlung
Der Brunnen am Marktplatz gibt Rätsel auf, was wohl die Figur unter den Pflastersteinen zu bedeuten hat.
Tafel und das Relief neben dem Brunnen klären mich über die wohl einst landesüblichen Gebräuche der Ureinwohner auf:
Das Kyritzer Starkbier, "Mord und Totschlag" genannt, war am Fürstenhof und in Hansestädten bekannt. Sein Name hier zugleich Omen sei, Manch Tringelage endete als Rauferei.
Mit fortschreitender Christianisierung und Disziplinierung haben Raufhändel im Suff abgenommen.
Vor meiner kleinen Klause in Kyritz an der Knatter zechen Männer mit Hunden einer undefinierbarer Mischung. Als der Flaschenrückgabeautomat bei Netto nicht funktioniert, freut sich ein Zausel darüber, dass er von mir vier leere Flaschen bekommt. Ist es nicht reichlich spät, wenn CDU-Politprofi Voigt angesichts steigender AfD-Erfolg merkt, was die "Altparteien" angerichtet haben?
Umso weniger gefällt Ghetto-Bewohner ein gepflegteres Stadtbild, was dann Besserverdiener als Mieter anzieht und Ärmere aus ihren Quartieren verdrängt.
Kyritz hingegen versorgt Menschen mit einem Laden in "bester Innenstadtlage", wie man das von den abgewrackten Galeria-Kaufhäusern in München so sagt, mit Gebrauchtkleidung.

Obgleich mich nach dem Gasflaschentausch mein Womo wieder 60 Kilometer weiter bis nach Kyritz geschaukelt hat, steht ein Ausflug auf E-Bike Rosinante am Nachmittag an.
Wer neben der Autobahn auf diesen wunderbaren Landstraßen fährt, den begeistern Baumalleen, die ein grünes Schattendach bilden. Nur wenn die Kastanienbäume ihre Herbstfracht bei einem Windstoß mir auf das Dach und die Frontscheibe werfen, ist das weniger schön.
Wenn die Straße aus einem Wald kommt, bestimmen endlos anmutende Sonnenblumenfelder oder Äcker, auf denen Trecker staubige Fahnen hinter sich her ziehen, die Landschaft.
Um das Ortschild
"Sechzehneichen Gemeinde Wusterhausen/Dosse Landkreis Ostprignitz-Ruppin"zu lesen, muss man verweilen. Doch wenn statt des glatten Asphalts die Räder von Rosinante im Ort über holpriges Kopfsteinpflaster ruckeln, fährt man langsam.
Einer dieser schier endlos großen Ackerflächen, die wohl aus Landwirtschaftlichen Genossenschaften hervor gegangen sind. In weiterer Ferne heben sich die weiße Stämme der Windmühlen gegen das Himmelblau ab.
Auch Wusterhausen hat alten Baubestand prächtig renoviert wie Kyritz und leistet sich auf dem Marktplatz einen Springbrunnen.
"Dosse" heißt dieses Flüßchen.
Wusterhausen und Kyritz liegen an paradiesischen Seen, die sich 24 Kilometer lang durch das Land ziehen.
Kyritz an der Knatter heißt der Ort, weil die Wassermühlen am Fluß Jäglitz so klangen. Ein Gewässer "Knatter" gibt es nicht.
Mich hält Kyritz zwei Tage lang. Die Idylle in den Neuen Bundesländern begeistert mich immer wieder. Ist nicht diese MZ 250 cc mit Beiwagen und dem aufgerissenen Polster der Rückbank vor der Imbissbude eine Augenweide? Nun gut, selbst einst Fahrer einer 150er und später 250er MZ muss man mich als "voreingenommen" werten.
Den Stellplatz für 10 Euro/Nacht übersteigt nicht meine finanziellen Fähigkeiten, zudem er mich für einen Euro fünf Minuten lang duschen lässt.
Vor meiner Aufbautür palavern junge Männer - ähnlich wie in sozialen Medien Menschen oder Blogger sich endlos ausmähren.
Die touristische Sommersaison ist vorbei. Die Eicheln knacken unter den Rädern von Rosinante. Kastanien an der Landstraße knallen auf meine Auto. Äste liegen als Windbruch auf der Fahrbahn. Der Laden in der Herbstsonne am Marktplatz von Kyritz sucht einen Käufer. "Furzipups" hatte Premiere im Bundestag, wo erstmalig eine Mutter mit Säugling im Hohen Haus ihre Rede hielt. Einfach ergreifend!
Der Freund aus Tokyo hat sich vermutlich längst ausgeklingt hier, weil er Bilder von Kirchen schwachsinnig findet.
Für mich hat der klerikale Kultraum etwas unerklärlich Schönes vergleichbar einer Eichenallee, deren Zweige gegenüberliegender Bäume sich über der Straße schließen.
Zudem übt der Organist an der Kirchenorgel, was den Raum mit dröhnenden Klängen füllt.
Kann man sich bei andächtig knienden Mädchenschönen mit Rückenflügeln vor einem Helden mit Strahlenkranz nicht zumindest für einen Augenblick in eine bessere Welt träumen?
Aber hat nicht auch die schlechte, böse, ungerechte Welt ihren Reiz?
Doch manchmal, immer häufiger, verlässt mich die Lust auf ketzerische Reden - besonders beim Anblick eines Taufbeckens aus dem 13. Jahrhundert. Wieviele Generationen von Eltern haben dort mit aller Hoffnung für ihr Neugeborenes das Beste für sich und das Kindchen erhofft?
Im klerikalen Kultraum, durch den Orgelklänge ziehen, beeindruckt mich das Bild mit Flügelwesen und das Licht, welches durch Kirchenfenster spielt. So stellt sich - zumindest für einen Moment - der Sinn der Schrift ein:
Sei getreu bis in den Tod so will ich dir die Krone des Lebens geben.
Ziehen mit solchem Spruch auf dem Koppelschloß nicht Soldaten ebenso froh in den Krieg wie Kinder mit einem Schlüssel für das Paradies durch ein Minenfeld?
Eins ist sicher: Auch wenn mein Austritt aus dem klerikalen Klüngel schon 1966 als 18jähriger mit unserer Familientradition gebrochen hatte, immer noch passender scheint mir Jesus für unseren klerikaler Kultraum als..... lassen wir das!
Macht so ein Sprüchlein "getreu bis in den Tod" nicht Mut, die Stadtmauer, die Grenzen des Landes zu verteidigen - jedenfalls wenn man so alt ist, dass man nichts anderes mehr zu verteidigen hat als seine Rente, Ruhe und Gesundheit?
Politpestilenter Werbeblock
Doch wen - außer mich selbst - interessieren schon "erhebende Gefühle" eines alternden Bloggers? Da liest man bei WELT online doch lieber, was Trump vor der UN gesprochen hat, Lesedauer 41 Minuten.
Was vermag wortmächtige Kritik begnadeter Schreiber anderes, als privilegierte Abonnenten hinter der Bezahlschranke zu unterhalten? Mehr wäre Lesern dieses Blogs, so es sie gibt, auch nicht zu wünschen. Wenn man, was Politprofis zu unterstellen ist, nur die Hälfte, ein Viertel oder noch weniger von Trumps Rede mehr Wahrheit als Fantasie enthielte, wäre Trump dann nicht schon super?
Wenn diese Weltenherrscher beisammen sitzen, dann geht's immer um Krieg und Frieden, also um Leben und Tod.
Kognitionsforscher Pinker redet von den meisten Kriegen als "Weitpisserwettbewerbe", doch geht's vielleicht nicht auch um Schnellschußwetten?
Doch wie kann man Politik noch etwas satirisch-humoristisches abgewinnen, wenn Gegner einander mit "Nazi" und "Terrorist" beschimpfen? Macht Politprofi Sonneborn sein Geschäft gut, wenn er plakatiert: "NAZIS TÖTEN."??
Wittstock/Dosse
Die Reisewoche endet in Wittstock/Dosse auf dem Stellplatz neben zwei "alten Schweden". Mein Nachbar zur Linken hat mit 62 Jahren schon Haus und Hof verkauft und tingelt seitdem mit seiner Frau um die Welt. Der Platz versorgt mich für fünf Euro mit Wasser, Strom (ein Euro für acht Stunden) und WLan Wifi. Aldi und ein Bäcker sind am Platz. Ein armer, junger Mann mit zerrissener Hose hockt sich zwischen einer Baumreihe und der Marktmauer hin, um sein Rauschmittel mit dem Feuerzeug zu erhitzen.
Schon vor dem Mittagessen hat mich das Womo 28 Kilometer weiter zum neuen Ziel geschaukelt. Der Stadtbesuch Wittstock/Dose beginnt mit dem Blick auf zwei Ruinen.
Hinter den beiden Ruinen an der Hauptstraße ist eine ehemalige Produktionsstätte abgesperrt, die wohl keinen neuen Rüstungsbetrieb mehr aufnehmen wird, die überall im Land Produktion ankurbeln sollen.
In der sozialen Rangfolge steht der Rentner mit Elektro-Dreirad noch über dem buckligen Alten, der tief sich bückt, um in Mülleimern nach Flaschen zu wühlen.
Nun lässt sich der Tourist in Brandenburg nicht schrecken, sucht und findet liebenswerte Ecken und Winkel in der "wachgeküssten" Schönheit von Wittstock/Dosse.
Hinter der Stadtmauer von Wittstock/Dosse fühlt man sich sicherer als in Messerverbotszonen kulturell bereicherter Bahnhofsbezirke unserer Großstädte.
Ob es an meinem eigenen Alter liegt, dass mir alte Häuser, alte Fahrzeuge und Friedhöfe gut gefallen? Ob das Schild neben der Tür einen Käufer anlockt: "Immobilie zu verkaufen"?
Steht es für ein über 350 Jahre altes Haus nicht schmuck und gut da?
Als nächstes fällt auf der Straße in die Innenstadt mir dieser Laden auf. Ein Aufkleber an der Eingangstür lässt den Kunden wissen: "Euer Gehorsam kotzt mich an."
Vor dem Rathaus kratzt ein Porsche Panamera die Kurve. So eine Luxuskarosse fällt hier mehr auf als ein Trabant.
Wie das Rathaus in Dessau oder in München bauten die Menschen auch in Wittstock/Dosse diesen prächtigen Ziegelsteinbau um die Jahrtausendwende.
Die Anzahl Menschen, welche um die Mittagszeit die gute Stadtstube, den Rathausplatz, queren, sagt viel über die Geschäftigkeit eines Ortes. Zum Vergleich steht mir München im Sinn, wo um die selbe Zeit Menschen aus aller Welt das Glockenspiel bewundern.
Die Scholle für 32 Euro im Restaurant am Rathausplatz ist mir zu teuer. Im Asia-Bistro serviert mir der mürrische Chinese eine Eiergemüsesuppe und Tofu mit Reis für neun Euro. Das Essen dampft so heiß, dass meine Brille beschlägt. Es schmeckt mir. Laufend kommen Handwerker in Arbeitskleidung, die sich ihr Essen mitnehmen.
So gestärkt zieht mich die mächtige Ziegelsteinkirche in ihren Bann.
Hinter diesem Portal öffnet sich eine weitere Tür. Dahinter fragt mich eine Dame im 17 Grad kalten Gebäude:
"Wollen Sie auf den Turm?"
Das wird ein schöner Verdauungspaziergang.
Diese zwei Euro preiswerte Attraktion über 68 ausgetretene Backsteinwendeltreppenstufen bis zu einer Plattform, wo es auf knarrenden Holzdielen weiter auf 45 Meter Höhe geht, kann man sich nicht entgehen lassen.
Die Aussicht entschädigt den Besucher für den mühevollen Aufstieg. Wittstock/Dosse liegt ein wenig in einer Mulde. Auf den Höhen ringsum produzieren Windmühlen Strom.
Der VW-Bus steht immer noch auf dem Rathausplatz.
Am Fachwerkhaus schleicht ein Wohnmobil vorbei.
Windmühlen stören nicht, wo kaum einer wohnt.
Die lange Stofffahne im Glockenturm informiert, dass schon für den Krieg 14/18 die Glocken zur Metallverabeitung abgeliefert werden sollten, was die Kirchenleitung verzögern konnte, bis der Krieg vorbei war. Eine andere Glocke riss an einem Karfreitag, die Gemeinde sammelt für eine neue Glocke.
Evangelische Kirchen sind schlichter als die der katholischen Konkurrenz.
Gegenüber der nackten Männerfigur widmet sich die Schlange um den Leib der Frau.
Gegenüber Nachrichten wie von CIS-Männern in postfeministischen Treffen scheint die Story von Adam und Eva wie aus der Zeit gefallen.
Doch was soll sich ein alter Blogger darüber noch Gedanken machen?
Der Herbst zieht ein. Doch Radwege locken mich weiter in die schöne Welt wie in das 18 Kilometer entfernte Freyenstein. Doch das ist wird dann eine andere
p.s. Korrekturen - wenn überhaupt - später