17 November 2013

Niederdrückender, nebliger November

Als mein Töchterchen noch lebte, erfolgreich als Voll-Juristin prämiert mit Prädikat, sollte sie mir die Quintessenz ihrer Studien in einem Satz sagen. Sie antwortete: "Nur Bares ist Wahres". Sofort gelang es mir, diesen Satz auswendig zu lernen. Seitdem lässt mich ihr Gedanke nicht mehr los.


Allein dieser Blick von einer Isar-Brücke in München am 15. November bedient doch den Betrachter schon voll und ganz. Den ganzen Monat würde man doch am besten auf "Alle-und-Aus" schalten! Volkstrauertag, Buß- und Bet-Tag, dann Nebel, Nässe, Kälte, die in die Kleider kriecht. Nein: November ist mein Monat nicht!


Wieso mir dann aber gerade jetzt eine Rentner-Reise nach Marokko einfällt? Das erfährt der Leser erst am Ende meiner niederdrückend nebligen November-Meditation.

Zurück zu meinem Töchterchen und ihrem wegweisenden Wort: "Nur Bares ist Wahres."  Gleich einem Mantra erscheint mir diese Weisheit so einleuchtend, dass sie mir gleichsam "in-Fleisch-und-Blut" übergegangen ist. Schließlich hat mich meine Tochter nach ihrem zweiten Staatsexamen auch dafür gelobt: "Jetzt hast Du so viel Geld in mich investiert wie andere in ein Haus."


Es gab ja auch einen sonnigen Tag im November - einmal, oder sogar ein zweites Mal. Doch solche seltenen Sonnenstunden bleiben Ausnahmen von Trübsal und Trauer blasenden November-Sorgen.


 Das Heizkraftwerk München-Nord bläst aus allen Rohren seine Rauchfahnen in den grauen November-Himmel - sofern der Ausdruck "Himmel" für dies schmutzige Farbspiel überhaupt noch passt.


Jetzt als Rentner gewährt mir die Gesellschaft erstmalig im Leben Ruhe und Müßiggang. Schön wär`s! Doch da fängt mein Körper an, sich zu beschweren. Das Leben ist so ungerecht, dass sich mutig mein Mittelfinger ins Löwenmaul des Lebens reckt.

Mein Kind hat mir noch weitere Weisheiten beigebracht, als sie mich zum Beispiel auf Grund meines 30jährigen Vorsprungs an Jahren als "Komposti" bezeichnete. Und wo ist mein Engel jetzt? Das Leben ist ungerecht!

Mein Mantra "nur Bares ist Wahres" besorgt mir böse Beunruhigung. Denn mein Doktor heißt  "Bares". Damit bekommt mein Mantra "nur Bares ist Wahres" einen bitteren Beigeschmack.


Meine Blog-Beiträge lesen meistens mehr als Hundert Menschen. Doch Kommentare gibt es fast nie. Wenn dann einer aber mal was schreibt, wie dieser Hirsch beispielsweise, dann solches: "Bar ist ja schließlich auch die Einheit in der man den Druck misst, fällt mir da natürlich ein. Bar ist Wahr! Und den Rost auf den Kompost."

Nicht, dass mein Doktor schlecht sei. Nein, ganz im Gegenteil. Vom Namen her war mir zwar klar, dass er mindestens aus der Türkei, wenn nicht noch weiter aus Arabien kommen muss. Denn er erscheint mir wie ein Taliban, der sich gut rasiert hat. Also eindrucksvoll und Respekt einflößend. Aber es war wohl unklug, meinen Doktor mit einem T-Shirt von Klaus, das er mir aus den USA mitgebracht hat, und welches mit "USA"-Buchstaben bunt prahlt, zu provozieren. Jedenfalls bildet sich meine Fantasie solche Zusammenhänge ein, die nun - wie häufig bei fabulierenden Fantasten - nichts, aber auch rein gar nichts mit der Realität zu tun haben, zu tun haben müssen.

 
Realität ist nämlich: Auch im November gibt es fröhlich feiernde Menschen! Man soll es nicht glauben, aber es gibt welche, die sogar im November Geburtstag feiern. Und das, obwohl sich alles in der Natur sich zum Winterschlaf zurückzieht.  

Jedenfalls untersucht mich Doktor Bares gut und gründlich. Mit seinem Ultraschall-Gerät, Marke Philipps, fährt er gleich zweimal, also doppelt profund, über meine Eingeweide. Er findet "white Plaque" in der Halsschlag-Ader, welche Plage! Er fragt mich nach Schlaganfall in der Familie und nickt verständnisvoll, dass Väterchen hoch in den Neunzigern einen Schlag erlitt. Der Doktor erforscht meinen Blutdruck und meint milde lächelnd: "Der ist nun etwas hoch, wohl wegen der Aufregung hier."


Noch so ein selten sonniger November-Tag: Meine bescheidene Rente reicht, um mir beim "Kleinen Chinesen" für 5,50 Euro dieses schmackhafte Mahl zu leisten. Das macht zwar satt, doch die Sorgen bleiben.


Was die Antennen auf der US-Botschaft in München neben der bayrischen Staatskanzlei abhören, scheint mir angesichts der Abhörmethoden mit der Ultraschall-Maschine von meinem Doktor nun schon wieder eher nebensächlich. Das Leben bleibt ungerecht.

Dass mein  Freund, immerhin nun auch mit meinen alten 65 Jahren gesegnet, aber doch ein halbes Jahr jünger, eben gerade einen leichteren Schlag erlitten hatte bei Bluthochdruck, geht mir durch den Kopf. Auch fällt mir ein junger Kollege im Job ein, bevor mich die Arbeitsmühle als Rentner in Ruhe schickte: Diesen fleißigen Arbeiter hat schon in noch viel jüngeren Jahren ein leichter Schlag getroffen.


Noch so ein vollkommen atypischer November-Tag: Wie zum Hohn lässt die Sonne Farben erstrahlen, als wolle die Welt weisen: "Wer weiß, wie oft Du den Englischen Garten noch erblicken darfst?" Das Leben ist ungerecht.

Mit solchen Sorgen und grausigen Gedanken über die zahlreichen Schläge bei meinen Bekannten und Freunden hört der Doktor per Ultra-Schall meine Organe ab. Er zeigt mir fasziniert auf dem Bildschirm meine wabernd pulsierenden Organe in minderer Pixel-Qualität. "Schön ist anders", poppt in mir eine Gedankenblase auf.

Wenn man erstmal auf der Liege - oder soll man gleich sagen "auf der Bahre?" - eines Doktors liegt, dann fällt man besser nicht aus dem Rahmen. Man weiß dann doch: "Auf der Bahre liegt das Wahre."

Zwischendurch markiert der Doktor mit einem farbigen Balken bei piependen Alarm-Ton irgendwelche Bildschirm-Bereiche und verkündet: "Sehen Sie? Hier ist ein Stein von einem Zentimeter Größe. Aber das ist nicht zu therapieren. Erst bei Schmerzen muss man da operieren."


Die ärztliche Diagnose ist kein Geschenk vom Weihnachtsmann. Meine Fantasie fabuliert knochige Finger mit einer rostigen Sense. Schuldig auf der Liege erscheint mir der Sensenmann, reiche Ernte meiner zahllosen Sünden und karmischen Verfehlungen einzutreiben. Doch es ist mir ja absolut vor der Zeit, den lieben Menschen mit mir ihre frühe Freude zu schenken! Besser bleibe mein Leben ungerecht - und lange noch.

Ob der Doktor mir nun einen Gallen- oder Nierenstein zeigte, ist mir mittlerweile schon wieder entfallen wie der Name der Krankheit, bei der man alles vergisst oder verwirrtes Zeug schreibt und redet. Doch nach seiner zweiten Sorgen-Sitzung hat mir der Doktor dann vorsorglich ein Blutdruck-Messgerät verschrieben. In Eigenarbeit dokumentiert diese Maschine nun morgens und abends vier wichtige Werte: Zeit, Puls, Blutdruck hoch und niedrig. Bei einem Bluthochdruck von über 150 droht der Doktor mir mit mehr Medizin. Das gefällt mir gar nicht.


Mein Körper trainiert sich seit Jahrzehnten wie für die Olympiade: Bei beißender Wasserkälte zwingt eiserner Willen mein schlotterndes Gebein noch in den Badesee. In der Sauna sieht man mich laufend, in Kneipen fast nie. Das Leben bleibt ungerecht.

Der Grund, einen Doktor zu besuchen, war mein Sodbrennen. Doch dies Brennen verging sofort mit der ersten Pantoprazol-Tablette. Eine Tablette morgens genügt mir. Diese Therapie verwöhnt mich nun 40 Tage lang. Seitdem schmeckt mir alles doppelt so gut. Mit weniger als einem Viertelliter Rotwein und ein, zwei, drei Jever Light Bier täglich sowie biodynamischer Reformhauskost bildet sich mein Nichtraucher-Leben ein, recht gesund aufgestellt zu sein.

 
 
Mit einer morgendlichen Tablette schmeckt mir mein Essen nun wieder doppelt so gut - auch wenn der liebe Mensch neben mir nach unserem ersten Treffen schreibt: " Will mit dir nichts mehr zu tun haben!" Das ist der Erste nicht. Das Leben ist ungerecht.


Zurück zur Überschall-Maschine von Doktor Bares mit der verpixelten Schwarzweiß-Bildschirmausgabe bei Nerv tötender Tonausgabe: Damit fuhr der Doktor auch über meinen Prostatata-Blasenbereich, murmelte etwas von 25 Milliliter seien normal, doch hier vermute er bei mir 40 Milliliter. "Aber wenn ihnen Wasser zu lassen, keine Schwierigkeiten macht, kann das so bleiben."

Als Almhirte verstanden mich die Rindviecher meistens viel besser als meine lieben Mitmenschen. Das Leben ist ....

Bei der weiteren Untersuchung mit seinem Ultraschall sendenden Zauberstab sah der Doktor eine Verdickung meiner Herz-Außenwand und fragte mich, ob mir in meiner Jugend mein Herz als Leistungssportler hätte dienen müssen? Art und Tonfall dieser Frage ließen mich sofort dies geflissentlich verneinen.


Diese jungen Mütter rollen im Laufschritt ihre Kinder im Wagen durch den herbstlichen Englischen Garten. Die Front-Frau hat zwar kein Kind im Wagen, rennt dafür aber umso schneller und treibt die Mütter mit lauter Stimme zu höherer Leistung an. Solcher Drill war mir zeitlebens widerwärtig.

Beim zweiten Besuch beim Doktor war es mir natürlich nicht mehr eingefallen, meinen arabisch anmutenden Doktor mit meinem USA-T-Shirt zu provozieren. Aber dieser mein erster schlechter Eindruck mit Stories meines alt-linken Widerstandes gegen den Vietnam-Krieg, die US-Einmischung im Iran oder bei den Umstürzen in Südamerika war in der Kürze der Untersuchung nun nicht mehr zu korrigieren.

 
Hier lässt der Herbst die Blätter vergilben und fallen. Hier in München 2013 ist dies der natürlich November Lauf am Volkstrauertag. Die letzten Bomben fielen 1945 in diesem stillen, Stadt nahem Auenidyll.

Nunmehr sollen meinen Blutdruck morgendliche wie abendliche Ruhe-Sitzungen bei geschlossenen Augen soweit vermindern, dass mir weiter drohende Medikamente erspart bleiben. Manche meinen, dass diese Übungen "Meditationen" heißen. Doch mir fallen bei meiner medinaiver Versenkung nur noch mehr Spott und Sottisen ein.



Es lohnt nicht, bei sich wie den lieben Menschen mit mir genauer hinzuschauen. Man sieht dann doch nur, dass vieles kleiner ist, als schlaue Sätze sagen oder schreiben.

Mit Sauna-Besuchen und Radtouren und einer Nacht in erschöpfendem Schlaf gelang mir nun sogar schon eine Messung mit einem Blutdruck von 125 zu 89 am Morgen.


Diese verstohlene Stelle weiter fern vom Englischen Garten bleibt geheim. Denn hier schöpfen meine sorgenden Sätze Kraft in Einsamkeit. Soviel Unrecht, diese Schönheit allein zu genießen, darf sein.

In der zweiten Januar-Woche will mein besorgter Doktor 24 Stunden lang, meinen Blutdruck aufzeichnen. Diese Messung will der Doktar einen Tag darauf auswerten. Und wieder einen Tag später will der Doktor mir die Ergebnisse deuten.


Mein Doktor macht mir als medizinischem Laien kalte, nasse Füße. Es ist ein Gefühl, als neigt sich meines Lebens blühender Baum schwermütig in Richtung.....


...............in Richtung..............


 
Dies ist nach 35 Jahren ein "UpDate" meiner Arbeit von 1978.


Die Arbeit an diesem Blog-Beitrag hat meinem Blutdruck geschadet! Es ist Zeit, mich von der Last dieser Gedanken und Sätze zu befreien, mal was ganz anderes zu tun.

 
Wie wuchernde Efeu-Ranken des Baumes Lebenskraft beschweren, so hängen grausige Gedanken und schwere Sorgen an meiner Tage Heiterkeit. Es ist Zeit, was ganz anderes zu tun.

Also soll mich doch mein Wohnmobil, die Walkuh, wieder sanft nach Nordafrika schaukeln, mich in der fernen Fremde zu bergen.


Mir steht schon wieder mein Herz auf Abschied. Nur noch wenige Wochen mit meiner zärtlichen, fleißigen, sorgenden Liebsten zusammen. Dann geht es wieder auf lange, lange Fahrt bis unter die Sonne Afrikas.

 Keine fünf Minuten nach meinem Mail-Versand antwortet mir eine Freundin:

ein kenner der materie ist dein alter freund ziegengerd:
http://strophantus.de/heilpraktiker-1.html


Doch dieser gute Freund aus alten Studenten- und Straßenkampfzeiten gegen US-Imperialismus und Vietnam-Krieg beruhigt mich. "170 zu 111 ist zwar nicht schön. Aber früher sagte man: 100 plus Lebensalter. Später hieß es dann: 120 plus Halbes Lebensalter. Aber jetzt soll alles über 140 behandelt werden - am besten mit Pharmazie."

Aber nach ruhiger Versenkung in medinaiver Muße, misst meine Maschine viel, viel bessere Werte: 144 zu 100.


 



 

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