09 Juli 2011

Christoph Peck - mein Nachruf

Wieder ist einer gerade der Kollegen, die mir lieb und teuer waren, gegangen. Gegangen für immer in das Land ohne Wiederkehr





Ein lieber Kollege, ein Zimmerkollege, hat meinem Gedächtnis nachgeholfen. Christoph war bei unserem Magazin in der mittleren Management-Ebene. Wir waren jung, jedenfalls viel jünger als jetzt. Wir waren rebellisch. Wir wollten und konnten es noch garnicht glauben!

Die Devise der Geschäftsleitung lautete: 25 Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital. 25 Prozent Gewinn sollte unsere Arbeit dem Unternehmer jedes Jahr einbringen. Es war unvorstellbar für uns, auch wenn die Zeiten besser waren als heute. Immerhin gab es auf unsere Ersparnisse bei der Bank noch drei Prozent Zinsen, sofern jemand sparen konnte und wollte.

Manchmal fühlten wir uns wie Sträflinge auf einer Galeere. Grinsende Aufseher peitschten uns Lohnsteuersklaven zu Höchstleistung unserer Selbstausbeutung an. Die Fluktuation war gewaltig. Der IT-Markt war noch ausgetrocknet nach qualifizierten Arbeitskräften. Menschen mit mehr Grips gingen zur Konkurrenz. Der Unternehmer ließ sie grinsend gehen, weil er mittlerweile das Konkurrenzblatt aufgekauft hatte. Also spannte sich der Lohnsteuersklave wieder auf die Galeerenbank, um 25 Prozent Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften.

Per Flur-Funk motivierten Managermeinungen uns Schwitzende vor den Schreibtischen wie "es tut mir weh, wenn ein Redakteur während seiner Arbeitszeit nicht an seinem Platz sitzt!" Ja, das Leiden war epidemisch!

Einer der wechselnden Chefredakteure tänzelte wie auf Zehen durch die Gänge. Seine Qualifikation hatte er sich als Drucker-Papst erworben. Sein bibelschweres bahnbrechendes Werk über Nadeldrucker landete mittlerweile im Altpapier, obgleich mich die Grafiken wie überhaupt das Gewicht der Schwarte schon schwer beeindruckt hatte.

Der Mann war mir unbgreiflich in seiner Unermüdlichkeit. Selbst wenn mich die Schlaflosigkeit schon um 7.30 in die Firma getrieben hatte. Sein Rechner lief immer schon! Wahrscheinlich, dachte sich mein simples Gemüt, war im Haus unterwegs, um Wichtiges zu erledigen. Als einmal das Netz nicht funktionierte, und die Hardware-Jungs die Steckdosen untersuchten, fanden sie unter dem Chef-Schreibtisch eine Schaltuhr. Diese fuhr den Rechner dieses Supermannes morgens um 7.00 Uhr hoch. Doch zu der Zeit war meine Welt schon lange nicht mehr in Ordnung.

Mein mir liebster Kollege war auch Drucker-Experte. Um gegen seinen Chef-Redakteur, den Drucker-Papst, qualifiziert konkurrieren zu können, ernannte sich der ansonsten bescheidene Bernhard zum Drucker-Gott. Wir beide waren damals im Betriebsrat, hatten also einen recht sicheren Stand.

Doch dass der Drucker-Papst nun als Chef einen Drucker-Gott zu befehligen hatte, ging natürlich garnicht. So gab es Monate, in denen Bernhard keine Seite bekam! Er saß einfach da und langweilte sich. Mir war in Sorge um eigenes Leben wie das meiner Tochter mehr Anpassung notwendig. Das lohnte mir der Drucker-Papst, der Schalk-Uhr-Chef, mit einem Sonderquantum Arbeit: 45 Seiten im Monat! Bernhards Bruder, der Ältere, teilte mit mir ein Zimmer, ein feiner, feinfühliger, hoch-intelligenter IT-Experte mit Kapitänspatent. Ein Kerl, wie Samt und Seide, nur schade, dass er früh starb - eben "Tod im Job".

Bruder Bernhard, der Jüngere, der vier Jahre jüngere, starb wie der Große Bruder vier Jahre später -





... eben "Tod ohne Job".

In dieser schier unerträglichen Arbeitsatmospähre investierte das Managment in Man-Power. Christoph kam als Vermittler zwischen Management, Chefredaktion und Redakteuren. Christoph war keiner dieser Führungsfuzzis, über die der begnadete Hans A. Pestalozzi, selbst mal Manager, höhnte: "Abschaum schwimmt oben! Das muss man mal zur Kenntnis nehmen!"

Christoph war ein Freund mit Klarblick, unbestechlicher Intelligenz, ausgleichend, vermittelnd, freundlich, zugänglich, verständnisvoll. Christoph stand und staunte über uns, die wir uns in den Sümpfen unserer Schlangengrube giftend, geifernd, grob, gierig, gewalttätig gaben. Das Management hatte mit Christoph eine gute Geschäftsinvestion getätigt.

Ob er dabei die 25-prozentige Eigenkapitalrendite einfuhr, war wohl eher nicht der Fall. Jedenfalls war sein Gastspiel in unserem Schlangensumpf leider nur von kurzer Dauer. Ob es ein halbes, ein dreiviertel Jahr oder vielleicht noch etwas länger war, bedarf besserer Recherche als der Zugriff auf meine mürbe Erinnerung.

Seelischen Eindruck und so mit Gefühl im Gedächtnis eingebrannt bleibt mir sein Abgang bis heute. Christoph schwebte wie befreit und beflügelt durch die Gänge, hatte schon eine neue Position, eine Leitungsposition, meiner Erinnerung bei dem Hausblatt eines Energieversorgers, korrigierte dort schon seine Faxseiten und machte den Abflug.

Mit den preußischen Prügeln bester beamtenrechtlich beflissenen Bereitschaft kodiert, hielten mich die Ketten monatlichen Schmerzengelds auf der Schreibtischbank meiner geliebt-gehassten Galeere, auch wenn sich mein Unbehagen bis in immer häufigere Erbrechen gerade zum Wochenende steigerte.



Vater mit 91 Jahren, kurz vor seinem Tod, kodierte mich mit beamtenrechtlicher, beflissener Bereitschaft.


Jetzt, 40 Tage nach meiner Verrentung, schmerzt mich zwar schrecklich eine Schulterzerrung. Doch die Verantwortung, Seiten zu liefern, entfällt. Es bleibt Zeit, all der Kollegen zu gedenken, die wie Christoph, mein Jahrgang, doch auch etwas jünger, vor mir gegangen: Wolfhard, Bernhard, Wolfgang, Alois, Christoph und der Doktor, dessen Name mir nicht mehr einfällt.

Als Christoph ging, bekam er von mir eines meiner Lieblingsbücher geschenkt: P. D. Ouspensky - Auf der Suche nach dem Wunderbaren.

Vielleicht hat er es gefunden?

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