Sturmtief Joachim fegt mit Orkanböen über das Land. Der Sturm weht Gefühle von verlorener Verlassenheit in meinen einsamen Platz in der Markthütte. Ein Mitarbeiter vom Gewerbeaufsichtsamt kommt und sagt: "Sie müssen heute nicht auflassen. Sie können schließen, wenn Sie das für richtig halten."
Ruhe vor dem Sturm - doch Mimas Husten zieht schon auf.
Mima, meine Marktfrau, ist krank. Wie zumeist in der letzten Marktwoche ist sie einfach vollkommen leer gebrannt. Sie hustet schon seit Tagen. Sie kann nervlich den Streß nicht mehr aushalten. Sie reagiert vollkommen gereizt. Sie kann die vorbeieilenden Kunden nicht mehr erreichen, meint sie. Die Mißstimmung greift ihren Körper an. Bellender Husten unterbricht unsere Nachtruhe. Also muss sie heute das Bett hüten.
Sie überträgt mir die Aufgabe erstmalig, ihre Markthütte zu öffnen. Mit einem Sack sorgender Ermahnungen schickt sie mich in den stürmischen Regen. Die Benachrichtigung vom Gewerbeaufsichtsamt-Mitarbeiter, schließen zu dürfen, erscheint mir als Lichtblick im stürmischen Tag. Dennoch beginnt der Morgen damit, dass sich zwei Menschen die Lichthäuschen kaufen. Diese Stammkunden vervollständigen mit ihrem Einkauf ihre Sammlung, die mit den Jahren wächst. Zäh verrinnen mir die Stunden in der zugigen Markthütte. Wie verloren ruhen sich meine vom Stehen schweren Beine auf einer kleinen Holzkiste hockend beim Katalytofen aus. Mein Handy verschafft mir angenehme Abwechselung mit der Internet-Flatrate.
Wegen der stürmischen Schauer bleiben zwei Frontklappen der Hütte geschlossen. So sehen die Kunde kaum etwas von der Ware. Dennoch kaufen einige Kerzen, Räucherkegel, Windlichter und Lichthäuschen. Es gelingt mir in der Zeit von 8.30 bis 15.30, Mimas kleine Zauberhütte geöffnet zu halten. Diese sieben Arbeitsstunden wären erst ihr halber Tag. Wenn sie arbeitet, arbeitet sie länger und härter. Bis sie abends endlich heim kommt, wurde es meist 20.30 Uhr. Das ist eine 12-Stunden-Schicht, viel zu viel auf die Dauer.
Bei besserem Wetter strömen die Menschen zu Mimas Markthütte - hoffentlich.
Als wieder eine böse Böe in die Hütte peitscht, dass die kostbaren Lichthäuschen auf den hohen Regalbrettern gegeneinander klirren, gilt für mich das Angebot des Gewerbeaufsichtsamts: Feierabend! Der Nachbar mit den Süßwaren klopft noch an die Holzläden und fragt: "Und die Kunden?" Anderntags erzählen sie, dass sie noch fünf Stunden länger dem Sturm widerstanden und verkauft haben.
Daheim gruselt es warm und wohlig, die Bilder von verschneiten Straßen zu betrachten, auf denen sich Fahrzeuge meilenweit stauen. Viele dieser vom Weihnachtstress gestörten und belasteten Fahrten enden auf dem Schrottplatz - oder schlimmer für die Menschen im Krankenhaus. Immerhin stehen unsere Autos nicht unter ausladenden, alten Bäumen. Die Fahrzeuge parken sicher am Straßenrand, wo Hecken die Vorgärten begrenzen. Mein Heimweg durch das wunderbare, erholsame Bamberger Heingebiet an der Regnitz ist gesperrt. Schilder und Sperren warnen: "Betreten verboten! Lebensgefahr! Orkanböen" Doch meine Müdigkeit mit dem Wunsch schnell heim zu kommen ist größer als meine Furcht, von herabstürzenden Ästen erschlagen zu werden. Eine turmhohe Pappel schwankt bedrohlich und böse. Der Wind braust auf und lässt mich rennen. Nichts passiert.
Unser Leben ist wunderbar, aufregend, schrecklich, schön, schaurig, naß, windig und kalt. Immerhin darf mein Körper in der Sauna auftanken. Daheim schnauft meine liebe Frau über einem Kamille-Dampftopf am Küchentisch unter einem Handtuch. Fürsorglich kämpft Sie ihre Atemwege frei von Husten und Schleim.
Die Zeit verrinnt: Nur noch sieben Markttage. "Keiner mehr doppelt", pflegte Mutter den verrinnenden Urlaubstagen nachzusinnen, wenn in der letzten Ferienwoche uns wieder die schnell nahenden Alltagspflichten drohten. "Keiner mehr doppelt" ist beim Weihnachtsmarkt Grund zum Jubeln - Ende der Fron, Ende der Einkünfte.
Wenn meine Marktfrau gesund ist, dann macht Sie mir als Marktgehilfe die Arbeit erträglich. Sicher hätte mein vorsorglich besserer und höherer Einsatz es meiner Frau erleichtert, gesund zu bleiben. Dafür ist mein doppelter Arbeitseinsatz aber unvermeidbar, damit sie wieder gesund wird. Denn ohne sie die Krippe abzubauen, Schlitten, Vogelhäuschen und die ersten Waren ins Garagenlager zu schaffen, das kann bislang nur meine Frau.
Nur noch drei Tage: Schon beginnt sie, all ihr liebenswertes Tausenderlei in Kisten, Kasten zu verstauen. Die handgearbeiteten, reich verzierten Lichthäuschen aus gebranntem Ton dürfen keinen Schaden nehmen. Licht zeigt sich für mich wie am Ende des Tunnels. Meine Frau meint nur: "Andere stehen doch das ganze Jahr über auf dem Markt. Was stellst Du Dich denn so an?"
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