30 Dezember 2011

Jahreswechsel

Auf dem Weg zum Getränkemarkt in der Ungererstrasse liegt der Nordfriedhof Münchens. Meine Fahrt führt mich an Übertragungswagen des Bayrischen Rundfunks vorbei: Johannes Hesters hat mit 108 Jahren seine letzte Ruhe. Fans begleiten sein Begräbnis. Was liegt näher zum Jahreswechsel als Gedanken zum Leben? Und Tod!

Die wenigen Wohnmobile, die in Einsiedl im Schnee stehen, haben Lärm und Getriebe von Stadt und Straße hinter sich gelassen. Kein Laut, kein Vogel, kein Auto. Manchmal streichelt sanft fallender Schnee das Dach. Noch macht meine liebe Frau einige wenige Versuche, mich aus meiner Ruhe zu bringen. Dann verzieht sie sich sich endlich ins Bett. Gedanken reisen durch die Nacht und tröpfeln als schwarze Buchstaben auf den Bildschirm.



Wir übernachten in Einsiedl am 30. 12. 2011. Das ist mein Lieblingsplatz in der Nähe von München.

Szenen- und Themenwechsel: Derzeit rüsten die USA die Golf-Staaten Saudi-Arabien und Bahrein auf. Dort residieren im Wertesystem von Schröder ebenso lupenreine Demokraten wie in Moskau. Der verblödete Urnenpöbel macht sich keine Sorgen, solange genug Erdöl und Erdgas unsere einzigartige Industrieproduktion aufrecht halten. Schließlich müssen Menschen in Europa, sofern sie keine prekären Penner sind, ihre einzigartigen Bedürfnisse befriedigen. Prekären Pennern reicht die Volksdroge Alkohol selbst in übelster Mischung wie als Weihnachtsmarkt-Glühwein.



Der schlüpfrige, schnee- und eisglatte Weg am See von Einsiedl zu Walchensee führt an den Ur-Rindern in Zwergern vorbei. Die fünf Kilometer verlangen uns bei Schneetreiben viel ab.

So geduldig wie die Ur-Rindviechern am Walchensee sind keine konsumverwöhnten Westeuropäer. Wenn Strom ausfällt, ist zappenduster. Also hat schon Carter vor 30 Jahren die Doktrin aufgestellt: "Die Seestraße von Hormus gehört zu unserem nationalen Interessenbereich. Wir haben diesen Seeweg mit allen Mitteln offen zu halten, auch mit militärischen." Als Verbraucher haben wir volles Verständnis dafür, dass unsere Interessen dort und anderswo auch militärisch vertreten und verteidigt werden. Schließlich wollen wir unsere 3,5 Tonnen schwere Wohnung auf Rädern durch den Schnee noch zum Allrad-LKW-Treffen nach Wallgau bewegen. Ohne zwei mit elf Kilogramm gefüllten Gasflaschen würden wir uns auch nicht in die Kälte zum Wintercamping wagen.



Nur schemenhaft erhebt sich der Herzogstand über dem See und dem Ort gleichen Namens, über Walchensee.

Die Freude unserer Winterreise im wohlig warmen Gefährt verdanken wir unserer unermüdlichen Arbeit, um unserr einzigartigen Bedürfnisse zu befriedigen. So müssen wir nicht daheim vor dem Bildschirm als Couch-Kartoffel vegetieren, sondern fühlen uns befreit vom Stress der Stadt und wandern auf eisglatten Wegen zwecks höherer Stress-Resistenz. Während des Berufslebens jagten uns Arbeitnehmer ständig Kollegen und Chefs. Nach 20 Jahren, acht Monaten und 12 Tagen hat meine Arbeit ihr Ende gefunden. Jetzt ist nur noch die liebe Partnerin hinter mir her. Erschwerend kommt hinzu: Immer näher macht sich Gevatter Tod daran, seine kräftigen knochigen Finger nach meinem mürben und ermüdenden Lebensleib auszustrecken. Doch noch erreichen wir Ziele wie das Allrad-LKW-Treffen in Wallgau. Soziale Kompetenz und Kontakte üben wir an der Feuertonne, die wir mit mitgebrachtem Holz füttern.



Vom 100.000 Euro teuren Fernreise-Mobil bis zur 40 Jahre alten Hanomag-Behelfs-Behausung mit holzbefeuertem Kanonenofen treffen sich die Drive-o-Holics im Wallgau zum Neujahrsplausch.

Kleine Schlucke Rotwein sollten mich dazu befähigen, der sozialen Runde am Feuerfaß einige bewundernde Bemerkungen und anerkennende Aufmerksamkeit zu schenken. Denn die Abenteuer dieser Russland-, Afrika-, Asien-, Australien- und Amerika-Fahrer sind eindrucksvoll, beachtlich - eben die einzigartigen Bedürfnisse, welche unsere Gesellschaft so erhaben entwickeln und weiter bringen - zumindest Kilometer-mäßig.

Genug meiner kultur-kritelnden Krakelei! Die Feuertonne wartet, um mich besser in mir fremde Sozialgefüge einzupassen. Vermutlich in meinem fortgeschrittenen Alter eine vergebliche Liebesmühe.

Unsere "Waschmaschine", der "Kühlschrank" kam nur mit Hilfe von vier schiebenden Männern aus dem Matsch!

Die echten Allrad-LKW-Kapitäne sehen fahrende "Weißware" nur als "Kühlschrank" oder "Waschmaschinen" an.

Der Blick am Neujahrsmorgen zeigte uns das "Blaue Wunder" von Klaus und einen Hanomag mit Kanonenrohrofen, der bald 50 Jahre auf dem Buckel hat.

Auch mit einem alten Ofen und einem Wasserkanister kommt man im Hanomag über den Winter.

Dieser Hanomag mit Anhänger erblickte 1963 das Grau der Straße. Sein Fahrer war der Erste Helfer, der uns aus der Schneepatsche stemmte.

Frei nach Bert Brecht: "Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm."

Der Allrad-LKW-Kapitän begrüßt noch etwas verschlafen den ersten Tag des Neuen Jahres 2012.

1 Kommentar:

parinit hat gesagt…

noby,
da gehört hoffentlich mal als buch einer breiteren öffentlichkeit zugeführt.
euch beiden und eurem mobil ein wunderbar genussfreudiges leichtlebiges 2012.

lg parinit