03 März 2012

Mima macht munter, Marrakech muede.

Bei meiner ersten Marokko-Reise vor 40 Jahren, bescheiden und beschwerlich mit erster Ehefrau auf einem geschenkten Motorroller Heinkel-Tourist, fasznierten mich die Geschichtenerzähler an der Stadtmauer von Fes. Damals gelang mir mit 24 Jahren als österreichischer Gastarbeiter ein beachtlicher Berufseinstieg als Almhirte. Als Student grandios gescheitert entstand auf dieser ersten Marokko-Reise mein Traum vom Geschichtenerzähler.

Nun, kaum 40 Jahre später, erfüllt sich langsam mein Jugendtraum. Zwar kann kaum einer einem andern zuhören, weil jeder von eigenen Geschichten überquillt. Also will jeder irgendeinem alles erzählen, wenn nur mal jemand zuhört. Doch Geschichten meinem Netbook und dem Internet anzuvertrauen, sollte niemanden stören. Vielleicht freut sich ja sogar jemand? Das wäre ja noch schöner.



An den Fleischtöpfen abends am Place Jemaa el Fna wird satt, wer genug Geld hat: Am Nachmittag bauen Gastronomen die Stände auf dem Platz auf, den die Straßenkehrer zuvor von den Resten des letzten Freß-Festes am Abend zuvor gereinigt haben.

Nun ist meine liebe, kleine Mimamai also schon in München in ein großes Flugzeug eingestiegen, um den weiten, weiten Weg bis Marrakech zu reisen. Für eine kleine Frau mit nicht allzu langen Beinen ist das ein ganz schönes Stück Strecke. Jemand moserte schon, weil Mimamai auch Wisch-&-Waschbär heisst. Aber da ist nun nichts dran zu ändern. Sie ist eben, wie sie ist, und sie ist eben ein Wisch-&-Waschbär.



Kleine Leute auf kurzen Beinen strengen Reisen in die weite Welt recht an, doch dabei sehen und lernen sie allerhand.

Mit Computern hatte meine liebe Frau bislang wenig zu tun. Doch in den letzten 40 Tagen hat sie am Computer daheim mehr gemacht als in all den 15 Jahren, die wir nun schon zusammen sind. Geduldig hat Sie mir über Skype zugehört und so manch neue Schwierigkeit am PC gemeistert. Sie hat neue Bilder gesehen, einige Links sogar geöffnet. Sie hat stolz berichtet, dass sie täglich schon ein, zwei Stunden "Hausaufgaben am Computer gemacht habe.

Wie versprochen steht unsere rollende Hütte schon seit 11.00 Uhr am Airport Marrakech. Mit der Zeitung Le Matin, meinem Netbook und dem Kopf voll von Geschichten wird es mir nicht langweilig. Der Weltkulturerbe-Platz Jemaa el Fna lag noch in morgentlicher Dämmerung, schon zog es mich fünf Kilometer weiter zum Flughafen. Neben sinnvollem Zeitvertreib wie Zeitung zu lesen, die sonnige Welt zu bestaunen, in den blauen Himmel zu blicken, in den vielleicht alle halbe Stunde einmal ein zierlicher Zweistrahl-Jet sticht, wäscht man eben Auto, wenn man auf seine Frau wartet. Hier in Marokko gibt es keine Selbstwaschanlagen, also lässt man sein Auto waschen. Das ist zum einen hier preiswerter und strengt auch weniger an. Als die Sonne anderntags in die Polysterfenster scheint, sind die Kratzer der rauhen Bürste leider deutlich zu sehen.



Mit artistischer Eleganz dreht der Autowäscher die Tonne mit den Füßen um die Walkuh herum, und schrubbt sie mit Wasser und viel Seifenschaum.

Gleich kommt also Wisch-&-Waschbär angedüst. Leider gelang es mir nicht mehr, eine dieser unkapputtbaren Plastikblumen zu kaufen, mit denen einige hier ihr trautes Heim schmücken. Auch egal. Vor dem Tor, aus dem die Ankommenden in das noch gedämpfte Licht der Abflughalle stolpern, stehen schon viele Männer mit Schildern. Ab drei Uhr wird da noch jemand mit einem Schild Hundi stehen.



Auf den ruhigen Parkplätzen vor dem Flughafen Marrakech kann man in Ruhe seinen Gedanken nachhängen.

Der Kosename "Hundi" hat weniger mit einem Erst-Beritt aus schnaufend schwitzenden Flitterwochen zu tun, als mehr mit ihrer Eigenart, die man eigentlich niemandem erzählen darf, sollte, kann? Egal. Wer Geschichten erzählt, darf nicht zimperlich sein.

Die erste Notwendigkeit, allgemein mit Frauen sowie mit Mima im besondern sich näher zu befassen, ja bekanntlich die, dass Männer irgendwann es leid sind, ihre Sexualität mit sich selbst auszuhandeln. Im Leben zu zweit lieben Mann-Frau sich irgendwie doch besser, erfüllender, befriedigender. Also braucht Mann eine Frau. Frauen freut es auch, also versucht man es gemeinsam.

Schon bei ihren ersten Besuchen bei mir, begann Mima mit ihrer den Frauen eigenen Art aufzuräumen. Das macht sie so gründlich, dass innerhalb kürzester Zeit mir immer rätselhafter wurde, wo sie was denn nun verstaut hat - von meinen Sachen wohlgemerkt. Also blieb mir nichts anderes übrig, als Mima zu bitten, mit Sack und Pack bei mir einzuziehen. Denn sie war und ist außerordentlich erfolgreich darin, ihre Ordnung meiner überzustülpeln. Ohne sie ging und geht es zwar auch irgendwie, aber wenn sie erst einmal da ist, geht nichts mehr ohne sie. Irgendwie erinnert sie sich viel besser daran, wo sie was von mir und vor mir versteckt hat. Also braucht Mann eine Frau nicht allein, weil eigenhändige Sexualität weniger bringt als miteinander zu spielen, Mann braucht seine Frau dann immer mehr, um sich in seinem Haus, seinen sieben Sachen, seinem Leben noch zurecht zu finden.



Vor der Licht durchfluteten Abflughalle am Flughafen Marrakech warten die wohl besten Taxis des Landes darauf, Touristen in ihre Hotels zu bringen..

Doch zurück zum Schild Hundi für meine Mima. Schon anfangs hatte sie begonnen, mir die Körpersprache von Tieren zu übersetzen. Besonders die überaus erfolgreich an Zweibeiner angepassten Hunde und ihre Körperhaltung entschlüsselt sie auf unseren Spaziergängen so überzeugend, dass mich ihre treffsichere Deutung oft verwundert. Anzumerken ist, dass wir in München am Englischen Garten wohnen, wo eine Unmenge von Hunden miteinander und mit ihren "Herrchen und Frauchen" spielen. Weil meine Mimamai nun ein schmales Gesicht hat, und beiseitig ihrer Wangen ihre Haare , von denen sie sagt, sie sei ein "bisschen blond", gleich struppigem Fell herunter hängen, fiel mir einmal für sie das Kosewort "Collie" ein. "Collie?", fragte ihre Tante, "Collie? Wie das Hundi?"



Mima ist endlich angekommen. Mit freudigem Überraschen liest sie mein Schild: Hundi.

Irgendwie schien Mima das aber ganz gut zu passen. Jedenfalls begann sie immer häufiger zu bellen, anstatt noch lang mit mir zu reden. So teilt sie mir ihre Gefühle oder sonstige vegativen Stimmungen oder Verstimmungen mit. Mit der Zeit reagierte Sie auf meine Vorhaltungen wie "Red' in Menschensprache" ohnehin nur noch mit hundserbärmlichen Jaulen. Was blieb mir also anders übrig, als mich mit diesen ihren Seinsäußerungen abzufinden? Da sie dabei zudem meine Intuition für ihr in Lauten ausgedrücktes Gefühlsleben immer weiter schult, ist es eben, wie es ist. Zudem liegt es nicht in der Natur, wenn Mann und Frau zusammen leben, dass er sich gegen sie durchsetzt. Er passt sich ihr an, wie sie sich ihm. Im Lauf der Jahre macht er, was sie will. Auch wenn das in den ersten drei Monaten meist umgekehrt war.



Froh die 17 Kilometer vom Flughafen zum Relais de Marrakech geschafft zu haben, lassen wir uns dort vor einem Steyr 91 - Baujahr 1978 - fotografieren.



So wie Muslims sich anstrengen, ungläubige Touristen in ihre Geschäfte und Wirtshäuser zu locken, so strengen sie sich noch mehr an, uns aus ihren Moscheen heraus zu halten.



Die Tafel erklärt, warum der Place Jemaa el Fna zum Weltkulturerbe gehört: Der Platz sei ein Modell für die Menschen, um Ihren Austausch, Handel und ihre Unterhaltung zu fördern.





Mima wieder bei mir in der Walkuh. Über ihr hängt ein Bild aus der Zeitung: Der König sitzt vor seinen Ministern.





Aus alten Autoreifen fertigen geschickte Handwerker Körbe, Sandalen, Gefäße oder Rahmen für Bilder oder Spiegel.





Eine geschickte Hand treibt die Drehbank an, zwischen seinem Fuß und der anderen Hand führt der Meister das Messer. So entstehen Holzgriffe für die Fleischspieße aus Metall.








Fünf Tage vergehen schnell in Marrakech. Ein unangenehmes Gefühl kommt auf: Morbide dies Marrakech! Marrakech macht mich mürbe, matt, müde. Die Medina gleicht einem schattigen Spielzeugladen für Jahrhunderte alte Handwerkskunst. Was geschickte Hände aus dem ganze Land in Holz, Leder, Wolle, Metall, Silber und Gold zu allen erdenklichen Gebrauchsgegenständen verarbeiten, bringen dort hungrige Händler unter die Leute. Jugendliche Kiffer mögen weiter im Schein fein zisilierter Lampen bei Musik und Räucherwerk träumen, die technische Sachlichkeit, Schlichtheit und solide Perfektion von Produkten wie aus Japan, den USA oder Europa fehlt. Zudem mangelt es an Geld und Arbeit. Schnitzer, Schneider, Schlosser produzieren in schattigen Stuben in Handarbeit, was technisch vor Jahrzehnten, manches vor Jahrhunderten schon so oder ähnlich entstand. Produkte "made in Marokko" sind wie jene aus China leicht zu erkennen.

Auf den etwa 650 Hektar der Medina, wie der Baedeker schreibt, also auf etwa 2,5 mal 2,5 Kilometer Fläche tummeln sich eine viertel Million Menschen. Alle müssen sich ver- und entsorgen. In mehr als hundert Moscheen üben sich die auf engstem Raum zusammengepferchten Massen darin, miteinander in Frieden zu leben. Friedliche Spaziergänger allerdings gefährden frustrierte Burschen auf Mopeds, die durch die verwinkelten Gassen brausen. Vor Jahrhunderten reichte es, wenn ein Lastesel dort laufen konnte. Die Breite reicht bis heute. Hinter vielfach verriegelten Türen mag der patriachalische Hausherr mit Frauen, Magd, Kindern und Gesinde verfahren, wie es die Tradition der Jahrhunderte zementiert. Bettler mit schwersten Schäden versuchen mit ihrem erbarmungswürdigen Zustand mitleidende Spender zu bewegen, ihr Überleben einen weiteren Tag zu sichern.

Die Bande der Händler, Marktschreier und Budenbetreiber bildet eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich in Jahrzehnten darauf spezialisiert haben, den taumelnden Touristen mit Worten, Gesten und Berührungen anzupöbeln, zu verunsichern und zum Kauf vollkommen überteuerter Dritt-Welt-Produkte zu bequatschen. Mima beispielsweise kann Kinderkreisel kaufen, welche aus einem bemalten Holzkegel mit Schnur auf den Boden geworfen mit Geschick und Übung an der Schnur geführt tanzen. Zuerst fordert der Verkäufer fünf Euro. Wir einigen uns bei 10 DH für einen Kreisel - knapp einem Euro. Mima weiß, was sie zahlen kann, für welchen Preis sie das Produkt auf ihrem Weihnachtsmarkt anbietet. Sie handelt nicht, sie setzt den maximalen Preis fest. Die zur Schau gestellten Gefühle der Verkäufer, Händler und Marktschreier sind billiges und belastendes Theater. Feinnerviges Mitgefühl für diese Maskerade ist vollkommen unangebracht. Wer sich dennoch von diesen Mimen beeinflussen lässt, merkt spätestens nach der Geldübergabe, was ihm vorgespielt wurde. Lehrgeld gezahlt - wieder und wieder.

Ein Schneider mit ehrlichem Gesicht hat den Reißverschluß von Mimas Tasche repariert. Er sitzt in seinem Verschlag von etwa knapp anderthalb Meter Breite und zweieinhalb Meter Tiefe zwischen zwei Nähmaschinen, Taschen, Gefäßen. Er fischt einen neuen Metallschieber aus einem seiner Töpfe, fädelt den statt des alten in den Verschluß, näht mit der Maschine sein Werk mit ein paar Stichen fest, und will soviel, wie wir geben wollen. Über 10 DH freut er sich, wie wir uns über seine geschickte Arbeit. Doch diese Erlebnisse sind selten.



Das Auto am Koutoubia-Stellplatz hat sich auf 28 Grad aufgeheizt. Wie benommen taumeln wir nach einem mehr betäubenden als erquickendem Schlaf in die langsam nachlassende Nachmittagssonne, um uns auf einer schattigen Bank zu erholen.

Fünf Tage und Nächte in Marrakech machen mich mürbe, matt, missmutig. Die sanitären Anlagen an der Moschee sowie im Park der Moschee sind gewöhnungsbedürftig. Die Preise der abendlichen Mahlzeiten auf dem als Weltkulturerbe geadelten Place Jemaa el Fna sind bald auf der Höhe der Ersten, die Hygiene in den Niederungen der Dritten Welt.



Die beiden deutschen Touristen neben uns ließen sich lange die Rechnung zu ihrem Abendessen erklären, bis sie unwillig die Summe von 225 DH - ohne Getränke - bezahlten.

Mit ohrenbetäubender Druckkammerlautstärke reißt uns der Ruf des Muezzin morgens gegen 5.25 aus dem Schlaf. Wir verlassen Marrakech im Morgengrauen, warten etwa zwei Stunden auf dem Parkplatz vor Marjane, bis das gewaltige Einkaufszentrum öffnet. Mit Proviant für bald 40 Euro verlassen wir die Großstadt in Richtung Essaouira. Zum ersten Mal seit etwa 3000 Kilomtern rollen wir über eine vierspurige Schnellstraße, ohne dafür Autobahngebühren zu zahlen. In Ounagha, 20 Kilometer vor Essaouira, landen wir an einem überaus komfortablen Platz, wo uns sogar ein Olivenbaum Schatten spendet. Zwar fällt der Strom bald aus, mit dem wir unserem Kühlschrank die Hitze des Gasbetriebs ersparen wollten, doch zwitschernde Vögel stimmen uns fröhlich. Der Baum mit den Ziegen in den Zweigen war eine kleine Attraktion am Weg. Die Gebühr für das Foto fiel mit nur einem DH und einigen Bonbons vergleichsweise preiswert aus. Doch immer nach einem kurzen Fotostopp ist man froh, ohne nachgeworfenen Stein seinen Weg fortsetzen zu dürfen.



Ziegen und Dromedare haben die Triebe der Arganienbäume zum Fressen gern.

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