02 September 2013

"Guggn un goofn"

Die Reise geht weiter. "Guggn un goofn", wirbt in Leipzig ein Kaufhaus um Kunden. Sachsen sprechen schon schön. Mir ist jeder Dialekt angenehmer als "Hochdeutsch". Denn Dialekt zeigt mehr Gefühl.
 

Leipzig im Spätsommer-Sonnenschein reizt mich. Ein Blick zurück auf das Völkerschlachtdenkmal, das sich im Meer der Tränen spiegelt. Leipzig war mir drei Nächte wert. Doch dann geht die Reise geht.


Vom Campingplatz am Auensee führt ein Radweg an irgendeinem der Gewässer Richtung Innenstadt. Die Schmalspurbahn sieht man neben dem Deich. Zahlreiche Menschen strampeln auf ihren Rädern, andere rennen in Sportkleidung. Wenige führen Hunde aus, Mütter bringen ihre Kinder heim.
 
 
Im Auenwald steht auf einem Hügel dieser Aussichtsturm. Die Konstruktion wackelt, wenn man auf der oberen Ebene wippt. Jugendlichen auf der Spitze bringen den Turm mit leichten Bewegungen zum Schwingen. Nach heutigen Sicherheitsstandard würde kein TÜV dies Bauwerk heute mehr zulassen.

 
Alles in Leipzig überragt dieses Denkmal: Schön? Monströs? Gewaltig? Im letzten Licht der Abendsonne bringt das Zoom-Objektiv nochmals das Völkerschlachtdenkmal näher.
 
 
Diese Apparatur macht mehr Sinn: Die Kläranlage im Auenwald liegt in einem Gebiet, welches auf den duftenden Namen "Rosental" hört.
 
 
Im Auenwald gibt es neben dem Aussichtsturm auch recht Stadt nah zauberhaft versteckt diesen Seerosen-Tümpel.
 
 
Neuer Tag, neues Glück: Schon um 9.00 Uhr begeistern mich die ersten Ausblicke auf die reiche und runderneuerte Innenstadt Leipzig.
 

Wie die meisten Marktplätze in der Innenstadt ist auch der von Leipzig prächtig und putzig aufgeräumt.

 
Das alte Rathaus beherbergt mittlerweile das Stadtmuseum. Dies Museum zu durchforschen, braucht mindestens einen halben Tag.


In sonniger Pracht präsentiert sich die Thomas-Kirche. Die Bauwerke mit sakral-kultureller Funktion sprechen mich immer mehr an. Wer diese Pracht finanziert, wird mir immer mehr gleichgültig.
 
 
Neben der berühmten Thomas-Kirche glänzt die Commerzbank unter güldener Krone mit goldigen Frauengestalten als Wandzier.
 

 
Hommage an die matriarchalische Versorgungsstruktur von Frauen und Kindern: "Die Kundin ist Königin."


Morgens ist noch Ruhe in der Thomas-Kirche. Die klaren Räume protestantischer Hallenkirchen sprechen mich mehr an als geschmückte Barock-Tempel mit musealem Kunst-Charakter. Es scheint mir in solchen Hallen mehr Bezug auf das Wesentliche, das Göttliche im beladenen und belasteten Erdenwurm - in mir.


Die Thomas-Kirche mit dem Licht durchfluteten Altar-Raum: Alles steht und hängt in einer klaren Ordnung, die sich wohltuend von der Nachrichtenlage wie dem Trubel in der Stadt abhebt.

 
Türme und Balustraden in der Leipziger Innenstadt. Diese Prachtbauten heben sich von verfallenden Häusern der Vorstadt so ab, wie sich eine Festgesellschaft in Frack und Abendkleid von einer Gruppe Junkies oder Obdachloser.
 
 
Das "Zeitgeschichtliche Forum" zentral in der Innenstadt von Leipzig präsentiert im musealen-pädagogischen Rahmen das Leben in der DDR. Stasi, Mielke, Mauerbau sowie die industrielle Mangelwirtschaft mitsamt der alles bestimmenden Staatspropaganda sind teils beklemmend, teils erheiternd in den Räumen zu erforschen. Das Bild zeigt DDR-Urlaubsromantik mit Dachzelt auf einem luxuriösen PKW, vermutlich einem Wartburg.


Das Standbild von Johann Sebastian Bach vor der Thomas-Kirche. Es macht sich ein Verlangen in mir bemerkbar, in dem alten Gemäuer ein Orgelkonzert zu hören.


Großstadt-Flair in Leizip: In diesen mächtigen Hotelbauten kann die Halb-Millionen Stadt eine große Zahl von Gästen unterbringen. Die städtische Straßenbahnen sind mit Bildschirmen ausgestattet, welche die Fahrgäste mit Werbung und Information unterhalten.


Unter Kaiser Wilhelm II. entstand dann 1913 - passend zum Völkerschlacht-Denkmal - dieser damals größte Kopfbahnhof in Europa. Als dann diese Prachtbauten standen, wurde das Human-Kapital in Verdun dann vier Jahre lang regelrecht geschlachtet wie Vieh.


Ob Ruhmes- oder Bahnhofs-Halle: Das Gefühl bleibt das Gleiche. Mensch ist wenig, Architektur ist viel. Immerhin hat die Bahnofshalle eine Funktion mehr als die Ruhmsucht zu steigern, den kollektiven Stolz auf das kollektive zum Wahn sich steigernde EGO, bereit zu kämpfen, zu töten und zu sterben.


Da steht der stolze Klotz. Es ist der Westflügel nur, spiegelsymetrisch klotzt auf der Ostseite die gleiche Halle.


Sechs, sieben Kilometer außerhalb der Innenstadt sieht Leipzig ganz anders aus. Das Fachwerk-Haus an der belebten Rittergutstraße ist zu verkaufen. Dahinter glänzt ein renovierter Altbau.


Dies Bauwerk sieht aus wie eine ehemalige Tankstelle. Der Mensch bewegt sich mit Bratwürsten weitaus günstiger als ein Fahrzeug mit Treibstoff.


Auch dieses prächtige Eckhaus wartet wohl auf einen Käufer. Abriss wie Renovierung scheinen zu teuer.


In den Fensterhöhlen fehlen die Scheiben. Die Antenne steht schief. Und ob vom Dach oder Schornstein keine Steine herunterfallen, scheint mir auch nicht ganz gewiss. Jedenfalls ist die Ausfallstraße davor reich mit Verkehr gesegnet. Die Straßenbahn fährt auch vorbei.


Die unteren Fenster sind zugemauert. Das Gebäude ist auch zu verkaufen. Mein Bericht beschränkt sich darauf, nur wenige Häuser an den Ausfallstraßen zu zeigen. In der Nebenstraßen kann man eine ehemalige Zahnrad-Fabrik bestaunen, in deren Hallen noch die Maschinen stehen. Doch im Vorgarten des Geländes grasen Schafe und Ziegen.


Doch im nahen "Kaufland" sind die Regale wohl gefüllt. Wer es sich leisten kann, füllt seinen Einkaufswagen randvoll mit Köstlichkeiten aus aller Herren Länder.

 
Die Last der Jahre


Drei Nächte hat mich die Großstadt Leipzig fasziniert. Bilder und Berichte folgen. Doch eines muss sich vder alte Autor eingestehen: Reisen strengt immer mehr an. Der Tag beginnt mit erster Wärme und Licht. Ei und Kaffee kochen, Brot, Käse, Marmelade, Orangensaft beladen den kleinen Tisch. Der PC findet gerade noch Platz daneben. Waschen, Rasieren, Aufräumen. Alle Klappen, den Kühlschrank verriegeln, die Fenster verschließen. Das Stromkabel abziehen, aufrollen und verstauen. Die Vorhänge aufziehen, aufrollen und festhaken. Es dauert etwa zweieinhalb Stunden, bis die zwei mal sechs Meter kleine Wohnzelle wieder als Fahrzeug zu gebrauchen ist. Der Großparkplatz vor dem Kaufland ist vollgepackt mit PKWs. Es ist Samstag vormittags. Leipziger versorgen sich für das Wochenende. Auch mein Kühlschrank ist ziemlich leer. Am wichtigsten sind Getränke. Keine drei Stunden später geht dann die Reise weiter. Dem Navi noch kurz ein Ziel angeben. Mit äußerster Bedachtsamkeit gilt es, das lange Gefährt wieder rückwärts aus seiner Parköse in freie Bahn zu rangieren. Letztlich war zwar eine Stange im Rückspiegel zu sehen und knapp zu vermeiden. Doch dass auf der Stange in etwa 2,90 Meter Höhe eine alte Uhr befestigt war, war nicht zu sehen. Erst mit sanftem Stoß an der höchsten Ecke machte sich die Uhr bemerkbar. Eine Beule mehr. Gestern schaltete sich beim Tanken immer wieder der Zustrom von Diesel ab. Erstmalig rutschte dann der Tankrüssel aus dem Tank und spülte den Diesel mir auf die Hose. Das dadurch mit Gestank von Öl getränkte Beinkleid war nur noch auf dem Fahrrad draußen zu verzurren. An der nächsten Autobahnraststätte ging es dann daran, die Hose zu waschen. Ja, ja: Reisen strengt immer mehr an. Allein zu reisen, spart zwar lästige Auseinandersetzungen mit der geliebten Frau, ist aber auch nicht leichter. Aber nach fünf Ärgernissen in 17 Jahren gemeinsamer Reisen, wie wir uns über Skype lachend vorrechnen, geht meine Reise eben Richtung Nord-Ost. Sie ist am Bodensee.


Leipzig ist sonnig. Leipzig ist satt. Leipzig ist laut. Leipzig ist bunt. Und: Von dem Spitzenplatz der Armutsstädte hat Dortmund Leipzig abgelöst. Na bitte!


Diesen Glaspalast der Bildenden Künste bleibt mir für meinen nächsten Besuch. Die Geschichte der Stadt verdeutlicht mir eher die Ausstellung im Stadtmuseum.


Der bayrische Kulturimperialismus hat seine Werbebotschaften bis nach Sachsen - mitten in Leipzig - aufgespannt.

Die Bücherstadt Leipzig präsentiert im Stadtmuseum eine Abteilung gestapelt mit Buchattrappen.


Dieser martialische Bullenaufmarsch erinnert im Stadtmuseum daran, dass Leipzig die Stadt der friedlichen Revolution 1989 war. Die Sprechchöre "Wir sind das Volk!" klingen dazu aus versteckten Lautsprechern.


Der Festsaal im Stadtmuseum zeugt von Größe, Reichtum, Macht und Pracht. Im Dachgeschoß erinnert eine düstere Installation aus Lautsprechern und flackernden Videos an den Bombenabwurf über Leipzig im Dezember 1944.


Die Vorstellung, die Naturgewalten im Nasenring gezähmt vorzuführen, begünstigt den Missbrauch von Mensch, Tier und Natur.


Hier, in der Stadtmitte, logiert die gehobene Klasse von Touristen. Sie lassen mehr Geld in der Stadt als Camper in Zelten oder Plastiktonnen.


Im Hauptbahnhof bietet McClean nicht nur an, sich für einen Euro zu erleichtern. Der vom langen Weg staubige Bruder kann sich auch gleich für sieben Euro duschen.




Ein sonniges Plätzchen an den warmen Bahnhofmauern erscheint der genügsamen jungen Dame und ihrem Hund ganz gemütlich und beschaulich.


Aus der Nikolai-Kirche im Licht der letzten Sonne dringt wuchtig die Orgel. Die hohe Halle ist vom satten Sound gut getränkt.


Vor dem Zentralen Messepalast spielt beschwingt und kunstvoll eine dreiköpfige Zigeuner-Band und verkauft dazu ihre CD. Die Musiker kommen aus Ungarn.


Mephisto mag vor dem Auerbach-Keller mit herrischer Geste die süßesten Früchte vom Himmel holen, wenn nur der Preis dafür stimmt.


Die grüne Wiese vor der Thomas-Kirche ist als Liege- und Ruhe-Fläche gedacht und daher für den Zugang von Hunden verboten.


Die Musikanten in der Musikstadt Leipzig bespielen fast alle Orte und Plätze. Hier musisiert das Jugendorchester auf dem Marktplatz.


Nach soviel Trubel, Jubel und Heiterkeit zieht es mich wieder auf das geruhsamere Land. In Torgau an der Elbe, kaum 50 Kilometer weiter östlich, findet sich ein ruhiger Rastplatz.


In diesem Burggemäuer Schloss Hartenfels drillten zu Zeiten der DDR Knüppel- und Prügel-Pädagogen schwer erziehbare Jugendliche. Torgau war Endstation als Spezialheim der Umerziehungsanstalten, welche den Willen aufsässiger Jugendlicher noch nicht brechen konnten. Die Seite www.jugendwerkhof-torgau.de  berichtet mehr davon.


Die Zuchtmeister der DDR hatten schon ihre eigene Art, Gebäude wie diese als Umerziehungsanstalt zu nutzen.


Heute haben diese beiden Bären im Schlossgraben einen annehmbaren Auslauf gefunden. Ob hier zu DDR-Zeiten die Jugendlichen Auslauf hatten, ist mir nicht bekannt.


Eine weitere herrliche Hallenkirche in Torgau schmückt sich mit den Klängen der Orgel.


Noch rückt sich der Organist seine Orgelbank in Position, notiert sich Fingersätze auf dem Notenblatt, doch dann erklingen die Orgelpfeifen und lassen die Luft schwingen.


Hinter ihren Reiserädern erholt sich eine vierköpfige Familie in der Eisdiele mit dem Blick auf das Rathaus von Torgau. Allerdings unterstützt den Familienvater, der seine beiden kleinen Kinder im Anhänger zieht, ein Akku-Antrieb.

Diese älteste Kirche von 1225 in Torgau war eine der ersten Kirchen der Reformation. Die Türme sind mittlerweile schon renoviert. Das Kirchenschiff dient vermutlich noch als Lagerhalle und Garage.

Gewandt erklimmen die Knaben das Denkmal am Elbufer, das der Russen gedenkt, die unser Land vom Faschismus befreiten.


In Torgau hätte die Reise reichen können. Mit dem ersten frühen Nachmittagsregen war es mir am Ufer der Elbe zu öde. Doch nochmal bald 100 Kilometer strengten an, um am Abend in Burg den ersten Campingplatz anzufahren. Der Platz im Gurkenland Spreewald hatten wir schon einmal vor drei Jahren zur gleichen Zeit genutzt. Doch damals waren dort nur wenige Fahrzeuge. Jetzt tummeln sich mindestens 30 WoMos dort.



Und weil bald Wahl ist, noch etwas zum Lachen - oder Weinen - je nach Geschmack, Laune und Gesinnung.


2. September 2013
 
Heute wäre meine geliebte Tochter Esther 35 Jahre alt geworden. Doch das Schicksal hat entschieden, dass sie mich am 23. Januar 2009 für immer verließ. Einer ihrer letzten denkwürdigen Sätze: "Ich bin froh, dass ich Dich mit einer guten Frau zurücklasse." Ihr Vermächtnis gleichsam: meine geliebte Frau Mimamai, Stephanie. Sie ist heute bei Esthers Schwestern, einige hundert Kilometer entfernt vom "Gurkenland", dem Spreewald. Diese Gegend mit den unzähligen Bächen, Fließen und Seen ist einer der besten Plätze in Deutschland. Vor drei Jahren, auf den Tag genau, haben wir die Gegend schon einmal gemeinsam erforscht, meine Frau und ich. Damals waren kaum Menschen hier auf dem Camping-Platz in Bug. Das ist diesmal anders. Heute hat sich der Herbst mit den ersten rauen Winden angekündigt. Dies weht viele Blätter von den Bäumen, Urlauber vom Platz. Störche und Schwalben haben sich schon in den Süden verzogen. Auch mich würde es reizen, ins sonnige Spanien und mich weiter im Winter nach Afrika zu verziehen. Aber meine liebe Frau rechnet fest damit, mich als ihren Gehilfen beim Bamberger Weihnachtsmarkt einzusetzen. An diesem Versprechen führt kein Weg vorbei.
 
 
 Die vier jungen Damen paddeln gekonnt und im Einklang durch Leineweber-Fließ im Spreewald.


Es passen zwar schon vier Paddelboote in die Schleuse, welche hilfreiche Hände per Hand bedienen. Eine junge Dame spendiert mir für meine Dienste als Hilfsschleuser sogar Geld. Erst im nächsten Schleusendurchgang kommen die dahinter wartenden Boote an die Reihe.


Reminiszenz an meine jungen Jahre als Motorradfahrer: Hier fahren Liebhaber alter Simpson-Maschinen in klassischer Lederkluft ihre liebevoll restaurierten Kräder durch die kleinen Spreewald-Straßen. Gänse gackern im Hintergrund. Die Bäume biegen sich von Früchten: Äpfel, Pflaumen, Nüsse. Kürbisse wachsen in den Gärten.


Der Jäger- und Fischerhof mit dem Ried gedeckten Dach im Hintergrund räuchert köstliche Forellen.


Kaum eine Landschaft bietet mehr ursprünglicher Natur als der Spreewald. Kühe, Pferde, Schafe, Ziegen, selbst Schweine halten die Menschen in freien Gehegen. Neben den köstlichen, eingelegten Gurken verkaufen die Menschen Honig. Das Hauptgeschäft machen Gastwirte, wobei sich die Touristenscharen in dem weitläufigen Gelände ganz gut verteilen.


Soweit mein Bericht aus Leipzig, Torgau in Sachsen und hier aus dem Spreewald, dem geliebten Gurkenland.


Das Wetter soll sich ja bessern. Um mein Boot, die "Gummigurke", aufzublasen und in den Fließen und der Spree es zu testen, sollten sich Herbststurm und Regenschauer zuvor nochmal verziehen.


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