Fes ziert sich wie Bamberg in Franken mit dem Ehrentitel: Weltkulturerbe. Doch die mittelalterlichen, windschiefen Häuschen in Bamberg dienen meistens als Ferienwohnung. In Fes leben Hundertausende auf engstem Raum - oft wie in Löchern ohne Fenster.
Damit mir diese wenigen 102 Kilometer von Moulay-Idriss nach Fes unvergesslich bleiben, sollen mich einige Bilder daran erinnern. Denn wir wählen kleine Straßen durch das Zerhoun-Massiv, welche weder Karte noch Navi kennen. Dafür belohnte uns der Weg mit überwältigenden Ausblicken.
Der Weg durch die einsame Hügellandschaft auf kleinsten Straßen hat uns begeistert.
Der Klick auf das Bild vergrößert zwar die Darstellung, doch die Abbildung ist fast nichts gegen den gewaltigen Eindruck der Natur.
Das Navi schleust uns mit den eingegebenen Koordinaten zielgenau an den Campingplatz Diamond Verte, das Naherholungsgebiet von Fes mit Parkanlagen und einem Schwimmbad mit stattlichen Rutschen.
Ob diese Rutschen vom TÜV ein deutsche Zulassung bekämen, bleibt zu bezweifeln.
Hoch zufrieden streben wir nach kurzer Rast zielstrebig der Medina zu, welche 10 Kilometer vom Campingplatz entfernt liegt. Auf den Bus warten wir einfach zu lange. So quetschen wir uns auf die Rückbank eines kleineren Fahrzeugs, wobei der Platz für drei dort kaum reicht. Etwas eingeengt nähern wir uns Fes schon bis auf fünf Kilometer bis zu einer Bushaltestelle. Dort nehmen wir den ersten Bus, den so viele Menschen füllen, dass der Kassierer die Tür für weitere Mitfahrer schließt. Ein Mann haut mehrmals empört auf das Blech. Der Fahrer öffnet nochmal die Tür, um ein schon eingestiegenes Kind der Familie wieder hinaus zu lassen. Immerhin landen wir direkt vor den Pforten der Altstadt. Die Gassen sind so eng, dass sich kaum ein Esel am andern vorschieben kann.
Die Gassen in einer Medina sind so eng, dass kaum ein Esel am andern vorbei kommt. Doch Johannes und mich stimmt das Getümmel zunnächst noch froh.
Die Auflagen, das Weltkulturerbe Fes in gutem Zustand zu erhalten, sind entweder nicht streng oder können überhaupt nicht kontrolliert werden. Um das Labyrinth der winkligen Gassen vollständig zu vermessen, zu kartografieren oder überhaupt nur gut zu kennen, braucht es mehr als ein Leben.
Über der engen Gasse war wohl mal eine Wohnung, von welcher noch Ruinen künden. Dch um das Weltkulturerbe zu sanieren, fehlt Geld.
Die Ernährung in der Medina lässt uns kaum fette Menschen sehen. Zwei schlanke Menschen können an breiteren Gassen nebeneinander gehen. Doch schon für zwei wohlgenährte Europäer wie Klaus und mich bleibt meist nichts anderes übrig, als hintereinander zu gehen.
Manche Gassen in der Medina sind selbst noch für Esel zu eng.
Wir sind jetzt eine Woche in Marokko. Von anderen Reisen in Dritt-Welt-Ländern ist mir das Gefühl gut bekannt: Heimweh! Wenn das Geld wenigstens in der Dritten Welt dafür reichen würde, eine Müllabfuhr zu bezahlen! Ist nicht. Klar, dass mich meine Devisen hier zum Krösus machen, jedenfalls im Vergleich mit den armen Menschen. Und das sind die Meisten, arm. Der Taxifahrer kämpft sich eine halbe Stunde schimpfend durch das Verkehrsgewühl, um uns übersättigte Touristen von der Medina zum Campingplatz Diamond Verte zu kutschieren. Er will dafür 40 DH. Wir sind so erschöpft von der gefährlichen Fuhre mit 70 km/h laut Navi über holprige Vorstadtstraßen, knapp an Hindernissen vorbei, dass wir auf Wechselgeld für unseren 50er-Schein verzichten. Fünf Euro für eine Fahrt in der Geisterbahn. Steigen Sie ein, sie kommen sicher ans Ziel! Allein diese grün, zerknutschten, zerfledderten, Dreck starrenden Geldlappen anzufassen, kostet Überwindung. Heimweh ist Sehnsucht nach München, nach meiner Mimamai! Wenn wenigstens die Deutsche Welle auf Kurzwelle zu empfangen wäre! Ist nicht. Eine CD vom Kiosk neben der Polizeistation dudelt mit kryptisch gurgelnden Lauten sehnsuchtsvoll jammernd nach irgendetwas. Herz- und Gehör-erweichend. Dazu das nervtötende Geplärre von den Moscheen, morgens, mittags, abends - eigentlich dauernd, Gebetsräume neben Tankstellen, Störche auf römischen Säulen. Da sehnen sich sogar Kirchengegner nach einer eingängigen Blaskappelle wie bei einer Prozession in Niederbayern. Mit Taschen voller Geld schaut sich ein
in missmutiger Touri beim Händler um. Seine Augen müssen sich erst an das Dämmerlicht in der schmuddeligen Kaschemme gewöhnen. Laden kann man diese Bretterverschläge doch nicht nennen. Kiosk wäre zuviel gesagt. Zeitung? Ist nicht! Für keine zwei Euro packt Dir der Händler zwei Brote in die braune Plastiktüte, eine Marmelade mit darauf abgebildeten Pfirsichen und dem einzigen Eintrag in lateinischen Buchstaben: AVEC PLUS DE FRUITS. Mehr zu lesen ist nicht, nur Arabesken. Im Preis inbegriffen sind noch sechs Eier. Bei stundenlangem Marsch durch die Medina sollte doch wohl eine Zeitung zu kaufen sein. Ist nicht. Da sitzt der Händler zwischen seinem Gemüse wohl schon seit Stunden und schneidet sich langmütig und geschickt die schmutzigen Fingernägel. Die freundliche Frau vom Kuchenverkauf packt Dir gleich eine brummende Biene mit zu deinen Teilchen in die Tüte. Der Veräufer füllt Dir Deine Plastikdose mit Oliven, verlangt 10 DH, wofür er vermutlich Einheimischen die fünfache Menge geben müsste, und patscht mit feisten Pfoten frech auf die Ware, dass sich der Deckel schließt. Der Touri schaut pikiert. Autofahrer fahren mit viel Einfühlungsvermögen nach dem Motto: Mach Platz, jetzt komm ich. Einer fährt rückwärts auf der Autobahn, an deren Grünstreifen Schafe weiden. Ein besonderes Erlebnis im Bus: Die Straße vollgepackt mit Fahrzeugen, die sich überholen. Der Verkehr steht. Alles hupt. Einige Fahrer begreifen wohl nicht, dass in eine schmale zweispurige Straße nicht drei Autos nebeneinander passen. Im Bus warten schwitzende Leiber gepackt wie in einer Sardinendose. Schimpfen, Schreien, Hupen. Der Tourist hält sich, mit Devisen bepackt, wie ein Geldbote die Hände eng am Körper gegen zudringliche Berührungen. Eine halbe Stunde im Bus kostet mehr Nerven, als der 30-Cent-Fahrschein in Briefmarkengröße wert ist. Jetzt fahren wir schon eine Woche kreuz und quer durch´s Land, kämpfen uns durch knöcheltief verschmuddelte Medina-Gassen, sehen in etwa 5000 Verschläge mit allen Warenwundern dieser Welt. Doch Wein? Ist nicht. Wenn Dich als Touri schon die milchige Brühe graut, die der Wasserhahn tröpfelnd hergibt, um damit die Tanks in Deinem Plastik-Palast zu befüllen, dann sollten die Menschen hier doch zumindest ihre stark rinnenden Hähne dichten! Diesem sogenannten Trink-Wasser, besser aber Stink-Wasser, setzt Du besser noch hochgiftiges Chlor-Silizium zu, um Keime abzutöten. Von der Mischung aus meinem Wasserhahn wird mir schon beim Zähneputzen schlecht. Genug Lamento! Hoffentlich ruft meine Mimamai aus München über Skype bald an. Hoffentlich hält die Web-Verbindung.
Bei Heimweh tröstet mich meine Frau Mimamai aus München. Erstaunlich mit wie wenig Bandbreite wir uns bei zwei, drei Verbindungsabbrüchen unterhalten.
Wenn es keine Tageszeitung gibt, muss mir SPIEGEL online die schlaflosen Nachstunden vertreiben. Es ist kaum auszuhalten, wie diese Schmierblatt-Schreiber ihre Leser verblöden und verbiestern. Berluskonesker Bordellbetrieb! Medialer Matsch! Wenn mir diese SPIEGEL-Schmiere vor die Augen kommt, wird mir schlagartig klar, was mich ins Exil nach Marokko verschlagen hat. Mein Freund Wolfgang aus Shangai - in SPON als notty - wurde auch mal wieder mit einigen Mails durchgelassen vom mies moderierenden Praktikanten an den Zensurhebeln der SPON-Forumsmacht.
Das Beste noch am SPIEGEL-Schmieren-Schmarrn ist das Online-Forum, um seinen Frust über berluskoneskes Blödeln ärmlich abhängiger Auftragsautoren abzulassen.
Das ist eine denkbare schlechte Stimmung, um etwas hier zu unternehmen. Doch wir wagen dennoch einen weiteren Medina-Besuch, eine weitere Reise ins Mittelalter. Die Arbeiter gerben und färben das Leder in einer stinkenden Brühe. Wir besichtigen den Ort anderntags wieder. Die Arbeiter machen Mittagspause. Da es in Strömen regnet, stinkt es wenigstens weniger.
Touris staunen mit Schaudern, wie Menschen in der stinkenden Brühe mit nackten Füßen stehen und arbeiten.
Doch wir haben immerhin Glück, dass wir die Medina am Freitag besuchen. Die meisten Türen sind fest verrammelt. Viele bleiben in ihren oftmals fensterlosen Löchern daheim. Auch der Straßenverkehr fließt viel entspannter.
Wen hektisches Händelgezänk stört, dem sei ein Besuch der Medina am Freitag empfohlen: Die meisten Türen bleiben zu.
Doch es gibt auch am Freitag noch genug Geschäfte, welche Waren feil bieten. Auch eine Suppenküche am Weg reizte mich, für 10 Cent eine Schale Brühe voller Kichererbsen zu probieren.
Wem im Touri-Restaurant ein Gericht mit 120 DH zu teuer ist, kann seinen Hunger auch für einen DH, also für 10 Cent, stillen.
Auch für die Entsorgung des Medina-Pilgers sorgen verschiedene Sanitäreinrichtungen. Es empfiehlt sich, kleinere Münzen für den fälligen Obulus bereit zu halten.
Ein Generalsanierung des Weltkulturerbes der mittelalterlichen Medina von Fes wäre nötig, wird wohl niemals geschehen.
Ein Weg aus der Medina heraus und schon sieht man Schrott vor beeindruckender Bergkulisse.
Nicht nur stinkende Abwässer aus der Gerberei belasten das Bächlein, das aus der Medina fließt. Auch die Anwohner der mehrstöckiger Häuser am Bach schmeißen ihren Müll ins Bachbett.
Wer unter diesen Bedingungen sein Brot erkämpft, wird wohl nicht sehr alt werden.
Der Ausflug in eine mittelalterliche Medina wie von Fes stellt einige Anforderungen an den westlich verwöhnten Touri.
Tipp: Ein Klick auf ein beliebiges Bild verschafft dem Betrachter eine vergrößerte Darstellung.
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