25 Januar 2012

Wallfahrt nach Moulay-Idriss

Ein guter Muselmann muss einmal im Leben nach Mekka pilgern. Wem - wie wohl vielen hier in Marokko - die Reise zu teuer ist, der erreicht mit sechs Wallfahrten nach Moulay-Idriss vergleichbar soviel Segnungen wie bei einer Mekkareise. Ein Sechstel-Mekka-Segen, also die Wallfahrt nach Moulay-Idriss steht uns bevor - Inch´Allah, so Gott will.

Rabat, wo wir in der Nacht auf den Campingplatz 22 Kilometer südlich nach Temara-Strand vetrieben wurden, liegt schon wieder 175 Kilometer hinter uns. Touristen sollen zu ihrem eigenen Schutz zumindest an der Küste auf Camping-Plätzen übernachten. Dass leicht zu erbeutender Reichtum Gangster und Gesindel anlockt, ist bei den krassen Klassengegensätzen offensichtlich. Wir haben die leichte Route gewählt, die Autobahn von Sidi Allal el Bahrao nach Meknes Ouest. Knapp fünf Euro, 46 Dirham, haben uns mit entspanntem Fahren gelohnt. In Meknes parken wir - passend zu meinem Gefühl als Tourist - neben dem Rummelplatz.

Neben dem Rummelplatz parken wir - recht passend zu meinem Empfinden des afrikanisch-orientalischen Treibens ringsum.

Seit meiner ersten Marokko-Reise vor 40 Jahren, nach sieben Indien-Fahrten, scheint mein Bedarf an Basar oder Altstadt-Besuchen sich langsam zu sättigen. Immer noch werden in Europa ausrangierten Autos, zumeist Daimler, auf der Straße repariert. Immer noch fließt dort Öl über den Asphalt. Immer weiter breiten sich Müll, Plastik, Lärm und eine duftende Würzmischung aus technischen und agrarischen Produkten aus.

Geschickte Mechaniker reparieren Mopeds, Fahrräder, Autos einfach auf der Straße - vor den Augen der Kunden.

Die Reiseführer beschreiben schon ausführlich die Geschichte des Palastbaus. Gigantische Tore führten zu einem Palastbezirk, den 40 Kilometer Mauern umgaben. Der Despot ließ 30.000 Sklaven dafür schuften, befruchtete in seinem Harem 500 Frauen. Diese Beglückten schenkten ihm 1000 Kinder. Glückwunsch dazu.

Vom Größenwahn des despotischen Tyrannen zeugt die Menschen verachtende die Architektur.

Zu Zeiten, in denen verelendete Massen in Frankreich gegen ihre Operetten-Potentaten revoltierten, in den Zeiten zementierten Eliten ihren Machtwahn in Architektur. Derzeit steigert der elitäre Geldadel mit jeder Rangstufe auf der Leiter den Ausstoß an Kohlendioxid. Wir Touristen mit unseren rollenden Burgen stehen da schon recht weit oben. Doch mein Herz schlägt für meine liebe Frau daheim, selbst Marktweiblein im Sommer und Winter. Bald schon beginnt auch dort in München wieder ihre Marktsaison. Sie verkauft zuerst Spargel, dann Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren. Hier hat die Saison für Erd- und Himbeeren schon begonnen.

In Marokko beginnt anscheinend die Erdbeerzeit schon im Januar.

Je mehr Sonne scheint, umso mehr spielt sich das Leben auf der Straße ab. In Indien war noch vor Zeiten zu sehen, wie Zahnreißer ihre Kunst auf der Straße praktizieren. Und in Saudi-Arabien sollen ja sogar Henker verurteilte Verbrecher in den Gassen vom Leben zum Tode befördern. Nur zur Zeugung verkriechen wir merkwürdigen Menschen uns zumeist ins Dunkel der Nacht.

Die Straße ist Markt- und Müllplatz, Reparaturwerkstatt - und vor allem laut.

An der Küste blühen Betonburgen für die Invasion der Touristen. Wo einst der Strand frei war für jeden, dürfen die Seegrundstücke der Nobelhotels nur noch Kunden betreten.

Ob dem Bauherrn das Geld ausgegangen oder die Pläne für den Bau noch nicht fertig waren, ließ sich nicht feststellen.

Doch all die Gedanken sind reichlich nutzlos. Besser ist es, den Tag zu gewinnen für neue, wunderbare Eindrücke und Überraschungen. Wie erwartet fiel Nachts der Strom für Kühlschrank aus. Denn der Generator des wunderbar, ruhigen Campingplatzes arbeitet eben nur von 18.00 bis 22.00 Uhr. Dafür funkeln Sterne durch die Dachluken. Aus 19 Kilometer Entfernung schimmern gelb die Lichter von Meknes.

Dieser Dieselmotor mit angeschlossenem Generator liefert von 18.00 bis 22.00 Uhr Strom für den Campingplatz bei Moulay-Idriss.

Die etwa sieben Grad Kälte der Nacht bekämpft in meiner Plastiktonne effizient die Gasheizung. Dabei erhitzt das Gas gleichzeitig Wasser. Das reicht noch Stunden später nach unserem Ausflug für eine warme Dusche im Sonnenschein außerhalb des Autos. In vielen Stufen auf engen Gässen durch die Altstadt von Moulay-Idriss nähern wir uns dem Heiligtum, bis uns ein Schild klerikal-faschistoider Intoleranz - nach meinem überreizten Empfinden zumindest - weiteren Zugang verwehrt.

Nachdem mir bei meinem unbedarften Betreten eines Heiligtums im Iran 1976 schon Prügel gedroht hatten, ist es für mein reiferes Alter verständlich, unbeobachtetes Beten barmherziger Brüder zu beherzigen.

Doch nach einigen Irrungen und Wirrungen über zahlreiche Stufen der Altstadt dürfen auch wir Ungläubige das Heiligtum auf unsere verstockten Herzen wirken lassen. Aus einer Schule klingt der einförmigen Singsang der Kinder, um sie zu gefestigten Glaubensbrüdern zu formen.

Schon der Anblick des Hohen Heiligtums von Moulay-Idriss rührt an verstockte Herzen ungebildeter Ungläubiger.

Mittlerweile ist Johannes, den gestern in Meknes ein Führer stundenlang durch Ecken und Winkel geschleift hat, sehr geschickt daran, die Dienste von allseits bereiten Führern abzuwimmeln. So finden wir aus eigener Kraft, was von oben nicht zu übersehen war: Das einzige runde Minarett in ganz Arabien, Afrika - oder wo auch immer. Da Allah auch uns Ungläubigen die Werke seiner frommen Diener in bestem Licht zeigen will, schenkt er uns wieder Sonne für bessere Fotos.



Das einzige runde Minarett weltweit, oder zumindest in ganz Arabien, vielleicht auch nur in Afrika, sicher aber in Marokko steht in Mullay-Idriss.

Bei der unausbleiblichen Wirkung von soviel muselmanischer Heiligkeit auf uns Ungläubige, wird mir nun auch die strenge Befragung des Grenzers in Tanger Med bei der Einreise klar. Fragte der Uniformierte doch: "Haben Sie Waffen?" Natürlich nicht. Auch die weitere Frage des Zöllners traf geradezu meine entschiedene Ablehnung, weil mir Bibeln zuwider sind. Er fragt also, was mich über den Sinn seiner Worte sinnen ließ: "Führen Sie christliche Schriften mit sich?" Nun beantwortet mir meine Wallfahrt nach Moulay-Idriss meine Frage: Die erhebende Wirkung der grüngedeckten Heiligtümer soll mich aufschließen und vorbereiten, zum Rechten Glauben zu konvertieren. Doch neben den geistigen Genüssen soll auch der Körper zu seinem Rechte kommen. Also verspricht mir der eil- und dienstfertige Kellner in fünf Minuten einen heißen Tontopf vegetarischer Köstlichkeiten aufzutischen, ganz ohne Fleisch. Dies Versprecher hält der gute Mann auch, der nach fünf marokkanischen Minuten, etwa 20 Minuten Westzeit, den dampfenden Tontopf mit Brot auftischt. Köstlich, wirklich köstlich - um ein Vielfaches besser als mein erstes Essen in Mouley Bousselham, was mich verließ, wie es hineinging.

Bevor mich Geistige Genüsse der Heiligen Stätte konvertieren, verlangt der Körper nach Nahrung.

Das herzhafte, schmackhafte Mittagsmahl macht uns neugierig auf die Römische Ruinengroßstadt in nächster Nähe von Moulay-Idriss: Volubulis. Eine römischen Ruinenstadt solchen Ausmaßes war mir bislang fremd.

Mosaiken, Straßen, Tore - eine Römische Stadt aus Ruinen in beachtlichem Ausmaß liegt in Volubilis, nahe Moulay-Idriss.

Der Reiter in Volubilis hat sein Pferd wohl falsch bestiegen.

Bei unserer Wanderung durch die Ruinen von Volubilis stoßen wir auch auf ein in Stein stilisiertes Körperteil - vermutlich ein römisches Heiligtum. Wie die meisten Hostien erscheint auch dieses Kunstwerk in Stein wie geleckt.

Der römische Phallus in Stein ist in Volubilis - wie so vieles - zu bewundern.

Ziemlich erschöpft von soviel Eindrücken in der drückenden Frühlingssonne fährt Johannes auf den wunderbaren Campingplatz bei Moulay-Idriss zurück. Wir belasten uns nicht mit weiteren - wohl auch empfehlenswerten - Abstechern in die grüne Berglandschaft ringsum. Als letzte Frage bleibt nur noch: Wofür mögen die Menschen in Moulay-Idriss demonstriert haben?

Vielleicht kann jemand den Text auf dem Plakat der Demonstranten in Moulay-Idriss übersetzen?

1 Kommentar:

Gwenn hat gesagt…

Der in Stein gemeißelte Phallus diente als Wegweiser zum nächsten Bordell, das findet sich in vielen römischen Städten.