15 Februar 2012

Gas mit Hilfe der Rentnerelite am Erg Chebbi

Nun ist das also auch überstanden, Valentinstag, der 14. Februar. Mein 64igsten Jahr ist erreicht. Albert, der Mann mit dem 37jährigen Transit, feierte mit uns bei einer Tajine, die mir wie Steine im Magen liegt. Albert meint. "Wir leben in spannenden Zeiten." Wohl wahr.

Mir wäre weniger Spannung lieber. Schon den Kriminaltango textete der begnadete Autor so trefflich: "Steigende Spannung... und dann ein Schuß!" Ein Schuß, ein Schock, ein Volksaufstand, eine "Islamische Revolution", ein Krieg, eine Klima-, Nahrungs- oder Wasser-Krise - was auch immer: "Wir leben in spannenden Zeiten." Doch zum Geburtstag alles Gute, Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei. Einen Monat unterwegs, in Marokko seit dem 19. Januar, und in der Nacht die zweite Gasflasche geleert.

Als touristische Herrenklasse nutzen wir eine passende Infrastruktur, niedrige Löhne der Dienstleister sowie die starke Staats- und Schutzmacht, die das Hungerproletariat in seine Schranken verweist. Wenn uns für unsere Devisen dann noch Sprit und Gas fast nachgeworfen wird - verglichen mit den Preisen daheim, bräunt uns hier pralle Sonne, solange Geld und Visum reichen.

Gisi und Klaus fallen zum Tanken in Richtung Mauretanien ein, wobei Gisi von dem bald 30jährigen Allrad-LKW in ihrem Blog - HALLO! DAS ist ein LINK! als "Sympathieträger" schwärmt. Denn wieder rumpelt eine Hilfslieferung Geld schwerer Touristen vorbei mit Hurra und Vivat herzlich begrüßt. Viele Marokkaner bewegen selbst unzählige Daimler gleichen Alters aus den blei-beladenen Zeiten des Kraftfahrzeugbaus ohne Elektronik. Das verbindet und schafft gemeinsame Hochgefühle. So schön süß schreibt sie, zauberhaft gut die Gisi:

"Der ADAC warnt ausdrücklich vor Steinwürfen, Straßensperren und sonstigen Nötigungen, die wir aber nicht erlebt haben. Das mag am Auto liegen, das eindeutig ein Sympathieträger ist. Es wird anders wahrgenommen als die großen weißen, schicken Wohnmobile, in denen man reiche Touristen vermutet. Bei uns wird gewinkt, gehupt und begeistert gegrinst."

Doch aus welchem Auto Touristen auch immer steigen, keiner entkommt dem Bettelmantra der Kinder: "Give me Stylo, Dirham, Bonbon" Im übrigen winken und grüßen die Menschen auch uns in Plastik-Palästen, als erscheine ein Erlöser aus ihrer Erbärmlichkeit und Monotonie ihrer Tage, Topografie und Tätigkeit. Je einsamer unser Weg, umso herzlicher das Winken. Der Hirte in der Wüstensteppe deutete dabei mit einer Handbewegung an, Trinken zu müssen. "Give me water", bat mich der Steinverkäufer auf dem einsamen Passparkplatz in Mmemsrir.



Was ist schöner für reisende Rentner, sich in behaglicher Runde gleichgesinnter bei einem Diesel-Preis von 46 Euro-Cents die 1000 Liter-Tanks voll zu schlürfen und mit gut gefülltem Kühlschrank sowie Wasser- und Gasvorräten, den Dritt-Welt-Armuts-Stress staubiger Städte und Straßen weit hinter sich zu lassen? Das ist Urlaub! Abenteuer! Freiheit!

Hiermit empfohlen und verlinkt zu Klaus, der seinen beachtlichen Blog füllt - HALLO! Das ist wieder ein Link!. Neben seinem eigenen Genuß teilt er seine Freude mit Freunden weltweit im Web.

Die im wahrsten Sinne Zurückgebliebenen mögen an ihren Schreibtischen miese Artikel zur Lage der arbeitenden Massen und Klassen verfassen. Das juckt Reise-Rentner höchstens, wenn im Kriminaltango des Klassenkampfs bei steigenden Spannung dann fällt ein Schuß. So ein Schock! Ein Artikel wie bei Heise soll und wird uns doch unsere Hochstimmung hier in Marokko nicht vermiesen. In Marokko wäre der Schreiberling für seine Auslassungen vermutlich eingesprerrt wegen seiner mosernden Meinung:

"Die schwierige Lage der breiten Bevölkerung hatte sich in der Wirtschaftskrise weiter verschlechtert, obwohl Marokko schon zuvor als ärmstes Land Nordafrikas galt. Gut 20 Prozent der Menschen müssen von weniger als einem Dollar am Tag leben und fast die Hälfte der Bevölkerung kann noch immer weder lesen noch schreiben. Eine revolutionäre Entwicklung, ähnlich wie in Tunesien, ist auch deshalb möglich, weil sich der König weiter an die Macht klammert. Er ist auch nach den Reformen weiter "unantastbar", kann das Parlament jederzeit auflösen und bleibt oberster Befehlshaber der Armee. Er steht der Justiz vor, ernennt die Richter und ist zudem noch der Präsident des Kontrollrats für die Justiz. Auch der Rat für innere Sicherheit bleibt unter seiner Kontrolle und er kann jederzeit den Ausnahmezustand verhängen."

Das so eine Frechheit in Deutschland erscheinen darf. In China gäb es das nicht! Die Nazis im Dritten Reich straften streng, was als Feind-Propaganda, Volksverhetzung und Wehrkraftzersetzung galt. Aber demokratische Freiheiten erlauben eben einiges wie bei Heise - HALLO! Wieder ein Link!. Widerlich, wie der Autor Ralf Streck am 27.11.2011 mit seinem reißerischen Titel hetzt:

Islamisten gewinnen auch in Marokko

"Pfui Deibel!" möcht' man meinen, auch das noch! Dann steigen ja nochmal die Preise für Diesel und Urlaub, was schwer auf die Stimmung reisender Rentner schlägt - auch auf meine. Doch meine schwer verdauliche, fettige Gemüse-Tajine am Abend schlägt mir mitten in der Nacht ohnehin auf Magen und Laune. Wenn dann noch Internet und Gasheizung ausfallen, ist das zuviel für mich. Schon schlimm genug, dass es wegen mir unbegreiflicher muselmanischen Sitten und Gebräuche hier keinen Magenbitter zu kaufen gibt! Gut hingegen, dass sich die Menschen hier keinen Fusel brennen dürfen, an dem beispielweise Touristen in der Türkei schon verreckt sind.

"Freiheit" und "Freie Meinungsäußerung" passt Mächtigen nur, solange sie schmeichelt. So zensieren in China 30.000 Staats-Zensoren mit preisgekrönter SIEMENS-High-Tech den Internetverkehr. Selbst die bemühte Frau Kohlbach, deren Reisebibel hier jeder bei sich haben sollte, fühlt sich von meinen Links in ihrem Forum ausgenutzt. Entweder lenken meine Schilderungen ihr Publikum zu sehr von romantisierender Reisewerbung ab oder sind einfach zu übel für den guten Gusto ihrer Foristen. Also löscht sie, was ihr nicht passt.



Frau Kohlbach fühlt sich in ihrem Sahara-Forum von meinen Links ausgenutzt. Also löscht sie den Link, der auf meine letzte Story "13. Februar: Piste, Dritt-Welt-Koller, Erg Chebbi" verweist.

Wie die fette Tajine mir nachts sauer aufstößt, so ist meine Abneigung gegen Eingriffe in meine Meinungsfreiheit mittlerweile allergisch. Löschen ist leicht, schneller als Schreiben. Doch die Gedanken sind frei. Wenn kontroverse Kritik sich handgreiflich durchsetzt, dann muss selbst ein Kaiser wie von Persien abtreten. Selbst die gestern noch Mächtigen wie Mubarak, Ghaddafi oder Saddam Hussein fallen am Ende. Ja fürwahr, die Lebensreise reicher Rentner endet auch. Doch solange wollen wir uns weiter unter der Sonne Afrikas beschaulich bedienen lassen und fröhliche Freunde finden, welche uns für unser devisen-dickes Bankbündel mit ergebenster Dienstbeflissenheit lächelnd verwöhnen. Scheckbuch-Sympathie schafft Freunde wie Schröder, der Putin als lupenreinen Demokraten herzte, wofür dieser ihn als Gasmann einstellte. Schwarzgeld-Kanzler-Kohl bandelt mit bester Beziehung zu Breschniew an, beide schweißnass in der Sauna. Um den Urnenpöbel medial so zu verblöden, dass die Massen ihre Abzocker wählen, investieren Kapitaleigner gerne Millionen in ihre politischen Freunde. Solange mich meine Frau daheim liebt, bleiben mir solche Freunde besser vom Hals.

Nur keine Krise kriegen, wenn Kontroversen handgreiflich die Luft aus den Reifen lassen, wie die Sahara-Szene beobachtet - Bitte Link beachten! , beschreibt und berichtet:

Auf der Piste von Zagora >> Tafraoute >> Erg Chebbi sind vor TISMOUMINE (Region Oum Jerane) Nagelbretter in der Hauptpiste vergraben mit dem Ergebnis, dass ALLE Reifen platt sind.

Dann kommen die “Helfer” und wollen bis zu DH 1000 für die Reparatur haben.

Mein Freund Ammar hat diese Piste am 28. November gefahren und konnte die Situation beobachten.

Haben denn die Rotzlümmel keinen anderen Job, als ruhe- und erholungsbedürftige Touristen noch mehr aufzuregen? Als ob nicht das krach-lärmende Rasen über staubige Sand-und-Stein-Straßen ohnehin schon nicht genug Geld, Nerven und Material kostet!

Immerhin verschafft die überwinternde Gemeinschaft französische Rentner Im Zwei-Stern-Camping wie dem Ocean des Dunes in Erg Chebbi den Menschen Brot und Arbeit. Dass mir mein sorgloser abendlicher Verzehr ihrer fett-getränkten Gemüse-Tajine Schlaflosigkeit und Magenschmerzen einbringt, ist ja nun nicht dem Koch anzulasten. Reise wie Risiko muss jeder selbst verantworten.



Die französische Rentnerelite, die sich mit Wein, Fernsehschüsseln und Acht-Meter-Mobilen hier häuslich über den Winter eingerichtet hat, füllt in etwa zwei Stunden der Mittagshitze Gas aus einer marokkanischen Flasche per Schlauch in ihre französichen Flaschen um. Der Sicherheitsmann im Gaswerk von Ar-Richidia verweigerte uns eine professionelle Füllung unserer Flasche. Angeblich verbieten das die Gesetze nach dem Attentat in Marrakech.



Die berghohen Sanddünen bei Erg Chebbi befahren Quads und SUVs. Ebenso schleppen Kamele dort Touristen hoch. Manche schleppen sich auch selbst auf allen Vieren auf den Gipfel. Einen Lift gibt es noch nicht. Wer dennoch von der Düne Ski fahren will, lässt sich am besten die Bretter von einem Sherpa tragen.



Die wüste lebt: Kommerz am Erg Chebbi - für jeden etwas.



Gleich hinter den Palmen dürfen Große Jungs bergauf und -ab im riesigen Dünensandkasten mit diese Allrad-Buggies brummen und brausen.



Geruhsamer reiten Touristen in die Sandberge auf Kamelen, welche majestätisch hinter ihrem Führer her trotten.






Zu meiner Gas-Füll-Aktion meint Johannes: "Nichts wie weg!"

Heute nacht bei diesen Einträgen wurde es mir langsam kalt und kälter. Die Heizung hatte sich ausgeschaltet. Die Gasflasche aus Beni Mellal war wieder leer. Sie hat zwei Wochen lang gehalten. Da der freundliche Franzose und Langzeiturlauber hier vor meiner Aufbau-Tür schon seine Flasche umfüllt, erfüllt er mir sogleich meine Bitte, auch meine Flasche auf diese gefährliche Weise zu betanken. Um die Austauschflasche für 41 DH zu transportieren, leiht er mir seinen Einkaufskuli. Fachmännisch verbindet er beide Flaschen mit seinem Schlauch und zieht die Gewinde mit einer Rohrzange fest. Die volle Flasche hängt neben der Toilettentür. Der Gestank vom Klo schmeckt mir weit besser als der von Gas. Etwa anderthalb Stunden tröpfelt das Flüssiggas aus der warmen Flasche in der Sonne in meine durch Decken und Schirm schattig und kühler stehende Flasche.



Diese Art, Gas von der oberen in die untere Flasche fließen zu lassen, verletzt mein Sicherheitsempfinden. Doch die Franzosen, die hier drei Monate lang überwintern, meistern die Gefahr umsichtig.

Johannes, der schon ungeduldig um 9.00 an meine Tür pocht, ist mit meiner frühesten Abfahrt ab 10.00 Uhr einverstanden. Als mir dann aber mein französischer Nachbar die Chance bietet, mir die gefährliche Gasfüllung zu managen, will Johannes keine kostbare Zeit mehr verlieren. Leider trennt sich so mein guter Reisepartner von mir.

Wer hier lebt, hat Zeit. Touristen haben die Uhr. Der erste Händler neben dem Campingplatz hatte schon alle Gasflaschen verkauft. Beim zweiten hatte der Chef die Schlüssel zum Gasschrank. Der Chef sollte in zehn Minuten kommen. Nach einer halben Stunde Warten verfloß weitere kostbare Zeit mit meiner Suche nach dem dritten Händler. Zeit scheint hier kaum Geld wert. Bis dann die Flaschen verbunden und das Gas von oben nach unten gelaufen ist, vergehen wieder kostbare Stunden. Mit dem mittäglichen Ruf des Muezzin zu Ruhe und Andacht war die Aktion vollbracht. Endlich. Doch dann in der Mittagshitze noch zahlen, aufräumen, noch etwas gar hastig verschlingen, ist meiner Rentner-Romanze mit Land und Leuten hier viel zuviel Anstrengung und Aufregung. Zudem soll sich der geneigte Leser noch am Kunstwerk der gestapelter Gasflaschen wie an weiteren Fotos des Ortes erfreuen. Hundert Meter Fußweg strengen mich in der staubigen Wüste schon mächtig an. So gut hat sich mein Befinden an den Rhythmus der Menschen gewöhnt. Das bleibt meinem Reisefreund Johannes auch zu wünschen auf seinem weiteren Weg.



Der Gasflaschenhändler versteht es, seine Ware kunstvoll und gefällig zu präsentieren.


Außerdem: 20 Jahre, acht Monate und 12 Tage lang war es mein Job, fremde Texte am Bildschirm zu bearbeiten. Endlich dürfen hier in der Wüste von Erg Chebbi eigene Gedanken in die freie Welt des Webs wandern. Meine gewöhnte und hier auch geliebte Bildschirmarbeit ändern selbst Wege durch Wüstendünen nicht. Wozu auch?

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