31 Januar 2012

Glück genießen gelernt

Der ARD-Mediastream mit dem Tatort vom Sonntag abend brach kurz vor der Aufklärung der Mordtat ab. Die Verbindung reichte nicht mehr. Das Thermostat der Gasheizung hält meinen Raum mit 23 Grad wohlig warm. Der Bordeaux Superieur funkelt im Glas und belebt die Sinne. Durch den Tag hielt sich mein sonniges Wohlbefinden - selten genug in meinem Leben.



Unglaublich: 4000 Kilometer entfernt von München liefert 3G-Maroc Telecom einen Internetstream von bis zu 1500 KBps. Die Geschwindigkeit reicht, um über das Internet Fernsehsendungen zu streamen.

Die mediale Verbindung mit der kalten Heimat - bis zu minus 20 Grad - beschäftigt mich mit aktuellen Nachrichten. Die soziale Situation in der kalten Heimat ist soweit nicht entfernt von der in den Maghreb-Staaten. So steht im Blog von Jacob Jung über die Ungerechtigkeit als gesellschaftliches Prinzip: "28.1.2012 – Die ursprüngliche Grundlage aller demokratischen Konzepte ist die Überzeugung, dass es in den Gesellschaften gerecht zugehen soll. Der Begriff der Gerechtigkeit beschreibt dabei einen Zustand, in dem Chancen und Güter angemessen und gleich zwischen allen Beteiligten verteilt werden."



Dem Affen reichen verwertbare Nahrungsreste aus dem Müll. Der Mensch muss sich aus dem Medienmüll seine geistige Nahrung ebenso mühsam suchen.



Die Einsendungen im Forum von SPON stimmen zumeist und tendenziell mit meiner Meinung überein. Doch darum - um unseres Volkes Stimme - scheren sich die Eliten aus Militär, Wirtschaft und Politik einen Dreck.



Kleine Leute freuen sich an kleinen Vergnügungen. Der See unter dem Wasserfall von Oudzoud erscheint mir wie eine Pfütze. Doch die Menschen freuen sich, wenn sie der Fährmann durch die sprühende Gischt rudert.



Wasser, das tosend fällt, erscheint mir wie ein mystisch engen Bezug zum Leben des Einzeln wie der Vielen im Kollektiv: Jeder fühlt die Schwerkraft als das herrschende Gesetz.



Wieder und noch einmal haben die mürben Bretter auf den rostigen Eisen-U-Profilen die Last eines Touristen, des guten Johannes, gehalten.



Wie seit ewigen, uralten Zeiten pflügt der Mann mit Esel und Muli die Erde.



Nach längerem Weg am schattigen Fluss belohnen wir uns mit einer Kanne Minz-Tee, die uns der freundliche Teeverkäufer für 10 DH bereitwillig serviert. Johannes übt sich in der Kunst des Einschenkens ins schlanke Glas aus der Kanne in größerer Höhe.

Der Tag geht zur Neige. Wieder erwarten wir in der Stern klaren Nacht Eis auf dem Dach. Die Mondsichel nimmt zu. Doch um die Wärme im Raum zu halten, bleiben die Rollos geschlossen. Nur die Dachluke über dem Bett soll mir den Blick in den Nachthimmel offen halten.

Fazit: Glück genießen gelernt - jedenfalls schon ein wenig besser als in Fes. Das Tagesmotto "Glück genießen gelernt" setzt sich fort. Eine Fahrt nach meinem Geschmack. 64 Kilometer wunderbare Landstraße bis auf die Höhe von 1400 Meter, an blühenden Mandel- und Pfirsichbäumen in zart rosa vorbei, im Hintergrund die Schnee bedeckten Häupter des Hohen Atlas. Kein verzweifeltes Fortkommen wie auf der 11 Kilometer langen Stichstraße nach El Hammam.



Die Stichstraße nach El Hammam mussten wir wieder durch all die gleichen Schlaglöcher und Widrigkeiten zurückfahren.



Auch die romantische Fahrt nach Oudzoud mit über 200 Kilometern war mir noch viel zu weit auf den holprigen Wegen.



Doch 64 Kilometer kurvenreiche, fast leere Landstraße am Rande des Hohen Atlas von Oudzane bis zum Stausee Bin-el-Quidane ist eine Fahrt und eine Strecke nach meinem Geschmack!

Dann noch dazu die herrlichen Geschichten und Fahrtipps wie von "Häuptling Silberlocke", einem 72jährigen pensionierten GSG9-Soldaten. Wir hätten noch stundenlang über Mogadischu und diese Zeiten plaudern können, wenn nicht den Häuptling sein Chef, also seine Frau, zum Appell gerufen hätte. Doch auch wir wollten ja weiter, wenigstens eine Stunde weiter.



"Häuptling Silberlocke" vom Nordfriesischen Campingclub fährt schon seit Jahren durch Marokko und führt andere an, wie er es als GSG9-Kommandant gelernt hat.

Hinter der Staumauer finden wir einen angenehmen Ort. Außer unseren beiden Autos gibt es keine weiteren Gäste. Die Sonne knallt mit Kraft. Die Vögel zwitschern. Schmetterlinge flattern. Ziegen meckern. Idylle pur.

Ein Platz wie im Paradies - ganz für uns allein im Frühlingssonnenschein unter der Staumauer von Bin-el-Quidane.

Der Weg in den idyllischen Ort am Stausee führt über die Staumauer zum Stausee, der das Wasser von zwei Flüssen aus dem Hohen Atlas sammelt. Das Bild dazu unterbleibt wohl besser, weil vor der Mauer mehrmals Schilder stehen: Fotografieren verboten!

Zur leidigen Politik, die Jacob Jung in seinem Blog mir heute morgen in seinem beachtlichen Beitrag so passend beschreibt, ging noch mein Kommentar über die Leitung. Ob Jacob Jung meine Meinung freischaltet, lässt sich ja am Abend verfolgen. Denn auch in Bin-el-Quidane reicht die Internet-Verbindung, um neben den Blog-Berichten noch Nachrichtensendung zu hören. Es ist ja auch wichtig, hier in der Bergidylle nichts Wichtiges wie Stauwarnungen rund um München zu vermissen.



Abseits der Mainstream-Medien wie von BILD, SPIEGEL und PRALINE lassen sich wirkliche Perlen aus dem Müll der Meinungen fischen - wie im Blog von Jacob Jung.

29 Januar 2012

Wasserfall von Ouzoud

Nun hat mich mein Weg 4.000 Kilometer weit von München bis zu den Wasserfällen von Ouzoud, nicht weit von Marrakesch geführt. Meine gesammelten Betrachtungen mit Bildern versuchen, diese wunderbare Welt aus abstoßender Armut und lasterhaftem Luxus zu verstehen.

Zahllose Menschen in Europa haben sich mit den Revolutionen von 1789, 1848, 1918 bis zur Revolte der 68iger von religiösen Zwängen, feudalistischer Willkürherrschaft und von sexueller Zwangsmoral weitgehend befreit und befreien sich noch. Ohne Kampf gegen die willkürliche Allmacht von Königen, Fürsten und adlige Fronherrn, diese böse Brut feudalistischer Unterdrücker und Ausbeuter, würden die Menschen in den Fabriken noch mit Peitschen statt mit der Stechuhr angetrieben. Die jungen Mädchen müssten sich vor der Hochzeit noch vom sabernden Gutsherrn mit dessen Recht auf die Erste Nacht bespringen lassen.

Bei meinen ersten Fahrten durch den Iran 1976, 1977 und 1978 war der Shah von Persien noch an der Macht. Teheran war geteilt in eine Oberstadt aus gleißendem, europäisch-asiatischem Luxus und in eine Unterstadt aus lausigen Lehmhütten. Wer im Mittelalter der Lehmhütten lebte, fraß mit der rechten Hand aus verbeulten Blechnäpfen magere Mahlzeiten. Die Reichen vergnügten sich in den Marmorpalästen der Oberstadt mit allen Annehmlichkeiten westlicher Technologie und asiatischem protzenden Pomp. Diese Gegensätze ließen sich nicht mehr verbinden. Eine religiös sich gebende Revolution brachte die neuen Herrscher an die Macht.

Klaus, der vor 20 Jahren Lybien bereist hatte, lobte lange Ghaddafi als den Herrscher, der sein Volk am Ölreichtum teilhaben ließe und dafür geliebt würde. Ghaddafi, der Shah von Persien, Mubarak von Ägypten sind mittlerweile nicht mehr. Auch der Shah von Persien wollte seinen Platz auf dem Pfauenthron sichern. Dazu sollte sich auch die persische Mittelschicht schnellstmöglich bereichern. Doch wenn Menschen, keinen Aufstieg, keine besseren Lebensverhältnisse mehr abwarten oder erhoffen können, revoltieren sie. Was dabei herauskommt, zeigt die nächste Geschichte. Aber Fortschritt ohne Revolte scheint es kaum zu geben.



Die Supermarktkette Marjane bietet alles, was die kapitalistische Produktion an Schrott und Segnungen vermarktet.

Reichtum verschafft Freiheit, in unserem Beispiel Reisefreiheit. Wer sich bei zwei, drei Grad Celsius morgens in Fes oder Khenifra in seinem Bretterverschlag aus verschmutzen Decken in seine kalten, löchrigen Lumpen schält, muss erstmal hoffen, dass die Sonne die kalten Knochen aufheizt.



Wer bei Marjane vorfährt, kann sich Alkoholika aufladen, soweit das Geld reicht.



Bei bald 1700 Meter Höhe stehen wir in Irfane im Schnee. Der König und mächtige Millionäre fliehen vor der Sonnenglut in die Sommerfrische. Das schmucke Städtchen ist durch den nahen Flughafen angebunden.


In Mitri hat mich ein Schild - trotz Warnungen des Navis - auf den falschen Weg verwiesen. Nach 11 Kilometer schlechter Straße war in El Hammam dann die Fahrt über Stock und Stein beendet. Wir mussten zur Hauptstraße zurück.



Nach einigen unnützen Umwegen haben wir nach 192 Kilometern von Fes aus Khenifra erreicht. Unser Nachtplatz vor der Polizeistation ist ruhig und gut beleuchtet. Viele Störche klappern ringsum in ihren Nestern auf Gebäuden und Bäumen.



Nach Genuss von viel süßem Minztee dürfte der Dentist genug Kunden finden. Hoffentlich sind wir als Touri wieder daheim, bevor uns die Zähne schmerzen.

Am Abend haben wir uns wieder einmal eines der "besten Restaurants am Platze" gegönnt. Mit einer vegetarischen Pizza und einem halben Huhn plus "Frits" waren wir für etwa acht Euro auch ganz gut bedient. Den Plastikkanister mit Wasser, den der freundliche Kellner aus dem Kühlschrank holte, haben wir nicht getrunken. Mir wäre ein Getränk wie eine Cola lieber gewesen. Cola stand im Eisschrank. Doch der kümmerliche Rest einer Literflasche gefiel mir nicht. Das alte Holzbrett, auf dem die Pizza kam, zeigte sich erst, als sie schon halb verzehrt war. Zum Glück - so hat mir der Anblick des urigen Holzbretts den Appetit nicht verdorben.



Als mein verwöhntes Wesen dann die Pizza von dem Brett verzehrt hatte, konnte mir der Anblick dieses mittelalterlichen Holzes auch schon nicht mehr den Appetit verderben. Mein Reisepartner Johannes verspeiste unverdrossen sein Hähnchen mit "Frits". Vor etwa ein, zwei Stunden war sein Essen sicher auch einmal heiß - auf dem Teller aber eher kühl.

Schluss mit meinem morgentlichen Gejammer, wie mich mein lieber Bruder schon per Skype ermunterte und ermahnte. Die erste Gasflasche ist leer. Ersatz dafür zu beschaffen, ist - wie alles für den Touri hier - eine Geduldsaufgabe. Doch laut Campingführer von Edith Kohlbach soll es bei Beni-Mellal ein Gaswerk geben, dass leere Flasche füllt. Die Fahrt dorthin ist wunderschön. Sie führt an einem Stausee bei Kasba Tadla vorbei. Die Strecke hat die grüne Markierung auf der Karte wirklich verdient.



Wenn man durch so wunderschöne Landschaften fährt, vergisst man für einen gesegneten Augenblick alle Politik.

Bei einer Teepause in einem kleinen Ort pausieren wir vor einem Restaurant an der Durchgangstraße. Wir bestaunen, wie der Koch mit Geduld und Geschick die Tangine im Tontopf zubereitet. Jeder Tontopf steht auf einem kleinen Holzkohlofen. Auf dem Grund bruzelt schon eine gehörige Portion Fleisch, schätzungsweise 300 Gramm. Dieses wird mit zwei, drei vollen Händen kleingeschnittener Zwiebeln bedeckt. Unter Zugabe von viel Öl und Gewürzen, Salz wird der Zwiebelhaufen über dem Fleisch mit Möhren und Kartoffeln belegt. Auch eine Tomate rundet das Kunstwerk ab, bevor der Koch dem Topf den Tondeckel aufsetzt. Das Gericht, wir saßen etwa dort ab halb Elf beim Tee, das Gericht ist dann in etwa anderthalb Stunden fertig. Der Preis dafür beträgt 50 DH, also weniger als fünf Euro.



Tangine-Tontöpfe gibt es mit Fisch, Fleisch oder auch ganz vegetarisch.



Nach etwa 130 Kilometer Fahrt von Khenifra hinter Beni-Mellal finden wir auch die Gastankstelle, wie Edith Kohlbach in ihrem Campingführer angegeben hat. Der Sattelschlepper hätte auch genug Gas für uns beide bis zum Ende der Reise. Doch ein freundlicher Mensch öffnet das Tor und meint: "Inch'Allah, Sonntag ist geschlossen. Aber morgen, am Montag, füllen wir ihre Flasche."

Nach 130 Afrika-Kilometern fühlt sich mein Fahrsoll schon reichlich erfüllt an. Ein nahegelegener Ort Afrourer kommt mir daher gelegen. Ein Bild im Reiseführer mit einem bezaubernden Wasserfall und den Koordinaten eines empfohlenen Campingplatzes verleitet mich zur Eingabe der Daten. Das Navi meint darauf, dass es noch 70 Kilometer weit sei. Schon nach wenigen Kilometern folgt die Abzweigung nach Afourer mit Hinweis auf einen Campingplatz. Aber nun sind andere Daten im Navi, dem wir also folgen müssen. Von den 70 Kilometern sollen noch 43 auf einer Straße sechster oder siebter Ordnung sein. Das wird harte Arbeit am heiligen Sonntag.



Auf dem Weg nach Ouzoud unterhält mich das Navi mit Meldungen wie "Fahren Sie Minus 12 Meter". Vor der wackligen Brücke meint es auf einer einspurigen Straße: "In 800 Meter bitte wenden". Doch die Landschaft ist gewaltig.



Wo der Müll so schön geordnet auf Halde sich sammelt, da finden selbst arme Hunde noch etwas zu fressen.



Gleich wird das Navi, kurz vor der Brücke, die kryptische Weisung ausgeben: "In 800 Metern bitte wenden."



Geschafft! Nach 223 Kilometern haben wir den Campingplatz Zebra in Ouzoud erreicht. Die Feuerwehr im Opel Blitz aus Erding ist auch schon da.



Dies Klohäuschen auf dem Campingplatz Zebra in Ouzoud hat einen Preis für bestes Design verdient.



Die letzte blendende Abendsonne bestrahlt den Wasserfall von Ouzoud. Der Affe strebt - wie der Autor - seiner abendlichen Ruhestätte zu.



Wenn Wasser in einem trocknen Land wie Griechenland oder Marokko von einem Berg fällt, dann muss man das gesehen haben.



Man hört aus dem Bild das rauschende Wasser, das in die Tiefe stürzt.

27 Januar 2012

Fes - Reise ins Mittelalter

Fes ziert sich wie Bamberg in Franken mit dem Ehrentitel: Weltkulturerbe. Doch die mittelalterlichen, windschiefen Häuschen in Bamberg dienen meistens als Ferienwohnung. In Fes leben Hundertausende auf engstem Raum - oft wie in Löchern ohne Fenster.

Damit mir diese wenigen 102 Kilometer von Moulay-Idriss nach Fes unvergesslich bleiben, sollen mich einige Bilder daran erinnern. Denn wir wählen kleine Straßen durch das Zerhoun-Massiv, welche weder Karte noch Navi kennen. Dafür belohnte uns der Weg mit überwältigenden Ausblicken.

Der Weg durch die einsame Hügellandschaft auf kleinsten Straßen hat uns begeistert.

Der Klick auf das Bild vergrößert zwar die Darstellung, doch die Abbildung ist fast nichts gegen den gewaltigen Eindruck der Natur.

Das Navi schleust uns mit den eingegebenen Koordinaten zielgenau an den Campingplatz Diamond Verte, das Naherholungsgebiet von Fes mit Parkanlagen und einem Schwimmbad mit stattlichen Rutschen.

Ob diese Rutschen vom TÜV ein deutsche Zulassung bekämen, bleibt zu bezweifeln.

Hoch zufrieden streben wir nach kurzer Rast zielstrebig der Medina zu, welche 10 Kilometer vom Campingplatz entfernt liegt. Auf den Bus warten wir einfach zu lange. So quetschen wir uns auf die Rückbank eines kleineren Fahrzeugs, wobei der Platz für drei dort kaum reicht. Etwas eingeengt nähern wir uns Fes schon bis auf fünf Kilometer bis zu einer Bushaltestelle. Dort nehmen wir den ersten Bus, den so viele Menschen füllen, dass der Kassierer die Tür für weitere Mitfahrer schließt. Ein Mann haut mehrmals empört auf das Blech. Der Fahrer öffnet nochmal die Tür, um ein schon eingestiegenes Kind der Familie wieder hinaus zu lassen. Immerhin landen wir direkt vor den Pforten der Altstadt. Die Gassen sind so eng, dass sich kaum ein Esel am andern vorschieben kann.

Die Gassen in einer Medina sind so eng, dass kaum ein Esel am andern vorbei kommt. Doch Johannes und mich stimmt das Getümmel zunnächst noch froh.

Die Auflagen, das Weltkulturerbe Fes in gutem Zustand zu erhalten, sind entweder nicht streng oder können überhaupt nicht kontrolliert werden. Um das Labyrinth der winkligen Gassen vollständig zu vermessen, zu kartografieren oder überhaupt nur gut zu kennen, braucht es mehr als ein Leben.

Über der engen Gasse war wohl mal eine Wohnung, von welcher noch Ruinen künden. Dch um das Weltkulturerbe zu sanieren, fehlt Geld.

Die Ernährung in der Medina lässt uns kaum fette Menschen sehen. Zwei schlanke Menschen können an breiteren Gassen nebeneinander gehen. Doch schon für zwei wohlgenährte Europäer wie Klaus und mich bleibt meist nichts anderes übrig, als hintereinander zu gehen.



Manche Gassen in der Medina sind selbst noch für Esel zu eng.

Wir sind jetzt eine Woche in Marokko. Von anderen Reisen in Dritt-Welt-Ländern ist mir das Gefühl gut bekannt: Heimweh! Wenn das Geld wenigstens in der Dritten Welt dafür reichen würde, eine Müllabfuhr zu bezahlen! Ist nicht. Klar, dass mich meine Devisen hier zum Krösus machen, jedenfalls im Vergleich mit den armen Menschen. Und das sind die Meisten, arm. Der Taxifahrer kämpft sich eine halbe Stunde schimpfend durch das Verkehrsgewühl, um uns übersättigte Touristen von der Medina zum Campingplatz Diamond Verte zu kutschieren. Er will dafür 40 DH. Wir sind so erschöpft von der gefährlichen Fuhre mit 70 km/h laut Navi über holprige Vorstadtstraßen, knapp an Hindernissen vorbei, dass wir auf Wechselgeld für unseren 50er-Schein verzichten. Fünf Euro für eine Fahrt in der Geisterbahn. Steigen Sie ein, sie kommen sicher ans Ziel! Allein diese grün, zerknutschten, zerfledderten, Dreck starrenden Geldlappen anzufassen, kostet Überwindung. Heimweh ist Sehnsucht nach München, nach meiner Mimamai! Wenn wenigstens die Deutsche Welle auf Kurzwelle zu empfangen wäre! Ist nicht. Eine CD vom Kiosk neben der Polizeistation dudelt mit kryptisch gurgelnden Lauten sehnsuchtsvoll jammernd nach irgendetwas. Herz- und Gehör-erweichend. Dazu das nervtötende Geplärre von den Moscheen, morgens, mittags, abends - eigentlich dauernd, Gebetsräume neben Tankstellen, Störche auf römischen Säulen. Da sehnen sich sogar Kirchengegner nach einer eingängigen Blaskappelle wie bei einer Prozession in Niederbayern. Mit Taschen voller Geld schaut sich ein in missmutiger Touri beim Händler um. Seine Augen müssen sich erst an das Dämmerlicht in der schmuddeligen Kaschemme gewöhnen. Laden kann man diese Bretterverschläge doch nicht nennen. Kiosk wäre zuviel gesagt. Zeitung? Ist nicht! Für keine zwei Euro packt Dir der Händler zwei Brote in die braune Plastiktüte, eine Marmelade mit darauf abgebildeten Pfirsichen und dem einzigen Eintrag in lateinischen Buchstaben: AVEC PLUS DE FRUITS. Mehr zu lesen ist nicht, nur Arabesken. Im Preis inbegriffen sind noch sechs Eier. Bei stundenlangem Marsch durch die Medina sollte doch wohl eine Zeitung zu kaufen sein. Ist nicht. Da sitzt der Händler zwischen seinem Gemüse wohl schon seit Stunden und schneidet sich langmütig und geschickt die schmutzigen Fingernägel. Die freundliche Frau vom Kuchenverkauf packt Dir gleich eine brummende Biene mit zu deinen Teilchen in die Tüte. Der Veräufer füllt Dir Deine Plastikdose mit Oliven, verlangt 10 DH, wofür er vermutlich Einheimischen die fünfache Menge geben müsste, und patscht mit feisten Pfoten frech auf die Ware, dass sich der Deckel schließt. Der Touri schaut pikiert. Autofahrer fahren mit viel Einfühlungsvermögen nach dem Motto: Mach Platz, jetzt komm ich. Einer fährt rückwärts auf der Autobahn, an deren Grünstreifen Schafe weiden. Ein besonderes Erlebnis im Bus: Die Straße vollgepackt mit Fahrzeugen, die sich überholen. Der Verkehr steht. Alles hupt. Einige Fahrer begreifen wohl nicht, dass in eine schmale zweispurige Straße nicht drei Autos nebeneinander passen. Im Bus warten schwitzende Leiber gepackt wie in einer Sardinendose. Schimpfen, Schreien, Hupen. Der Tourist hält sich, mit Devisen bepackt, wie ein Geldbote die Hände eng am Körper gegen zudringliche Berührungen. Eine halbe Stunde im Bus kostet mehr Nerven, als der 30-Cent-Fahrschein in Briefmarkengröße wert ist. Jetzt fahren wir schon eine Woche kreuz und quer durch´s Land, kämpfen uns durch knöcheltief verschmuddelte Medina-Gassen, sehen in etwa 5000 Verschläge mit allen Warenwundern dieser Welt. Doch Wein? Ist nicht. Wenn Dich als Touri schon die milchige Brühe graut, die der Wasserhahn tröpfelnd hergibt, um damit die Tanks in Deinem Plastik-Palast zu befüllen, dann sollten die Menschen hier doch zumindest ihre stark rinnenden Hähne dichten! Diesem sogenannten Trink-Wasser, besser aber Stink-Wasser, setzt Du besser noch hochgiftiges Chlor-Silizium zu, um Keime abzutöten. Von der Mischung aus meinem Wasserhahn wird mir schon beim Zähneputzen schlecht. Genug Lamento! Hoffentlich ruft meine Mimamai aus München über Skype bald an. Hoffentlich hält die Web-Verbindung.

Bei Heimweh tröstet mich meine Frau Mimamai aus München. Erstaunlich mit wie wenig Bandbreite wir uns bei zwei, drei Verbindungsabbrüchen unterhalten.

Wenn es keine Tageszeitung gibt, muss mir SPIEGEL online die schlaflosen Nachstunden vertreiben. Es ist kaum auszuhalten, wie diese Schmierblatt-Schreiber ihre Leser verblöden und verbiestern. Berluskonesker Bordellbetrieb! Medialer Matsch! Wenn mir diese SPIEGEL-Schmiere vor die Augen kommt, wird mir schlagartig klar, was mich ins Exil nach Marokko verschlagen hat. Mein Freund Wolfgang aus Shangai - in SPON als notty - wurde auch mal wieder mit einigen Mails durchgelassen vom mies moderierenden Praktikanten an den Zensurhebeln der SPON-Forumsmacht.



Das Beste noch am SPIEGEL-Schmieren-Schmarrn ist das Online-Forum, um seinen Frust über berluskoneskes Blödeln ärmlich abhängiger Auftragsautoren abzulassen.

Das ist eine denkbare schlechte Stimmung, um etwas hier zu unternehmen. Doch wir wagen dennoch einen weiteren Medina-Besuch, eine weitere Reise ins Mittelalter. Die Arbeiter gerben und färben das Leder in einer stinkenden Brühe. Wir besichtigen den Ort anderntags wieder. Die Arbeiter machen Mittagspause. Da es in Strömen regnet, stinkt es wenigstens weniger.



Touris staunen mit Schaudern, wie Menschen in der stinkenden Brühe mit nackten Füßen stehen und arbeiten.

Doch wir haben immerhin Glück, dass wir die Medina am Freitag besuchen. Die meisten Türen sind fest verrammelt. Viele bleiben in ihren oftmals fensterlosen Löchern daheim. Auch der Straßenverkehr fließt viel entspannter.



Wen hektisches Händelgezänk stört, dem sei ein Besuch der Medina am Freitag empfohlen: Die meisten Türen bleiben zu.

Doch es gibt auch am Freitag noch genug Geschäfte, welche Waren feil bieten. Auch eine Suppenküche am Weg reizte mich, für 10 Cent eine Schale Brühe voller Kichererbsen zu probieren.



Wem im Touri-Restaurant ein Gericht mit 120 DH zu teuer ist, kann seinen Hunger auch für einen DH, also für 10 Cent, stillen.



Auch für die Entsorgung des Medina-Pilgers sorgen verschiedene Sanitäreinrichtungen. Es empfiehlt sich, kleinere Münzen für den fälligen Obulus bereit zu halten.



Ein Generalsanierung des Weltkulturerbes der mittelalterlichen Medina von Fes wäre nötig, wird wohl niemals geschehen.



Ein Weg aus der Medina heraus und schon sieht man Schrott vor beeindruckender Bergkulisse.



Nicht nur stinkende Abwässer aus der Gerberei belasten das Bächlein, das aus der Medina fließt. Auch die Anwohner der mehrstöckiger Häuser am Bach schmeißen ihren Müll ins Bachbett.



Wer unter diesen Bedingungen sein Brot erkämpft, wird wohl nicht sehr alt werden.



Der Ausflug in eine mittelalterliche Medina wie von Fes stellt einige Anforderungen an den westlich verwöhnten Touri.

Tipp: Ein Klick auf ein beliebiges Bild verschafft dem Betrachter eine vergrößerte Darstellung.

25 Januar 2012

Wallfahrt nach Moulay-Idriss

Ein guter Muselmann muss einmal im Leben nach Mekka pilgern. Wem - wie wohl vielen hier in Marokko - die Reise zu teuer ist, der erreicht mit sechs Wallfahrten nach Moulay-Idriss vergleichbar soviel Segnungen wie bei einer Mekkareise. Ein Sechstel-Mekka-Segen, also die Wallfahrt nach Moulay-Idriss steht uns bevor - Inch´Allah, so Gott will.

Rabat, wo wir in der Nacht auf den Campingplatz 22 Kilometer südlich nach Temara-Strand vetrieben wurden, liegt schon wieder 175 Kilometer hinter uns. Touristen sollen zu ihrem eigenen Schutz zumindest an der Küste auf Camping-Plätzen übernachten. Dass leicht zu erbeutender Reichtum Gangster und Gesindel anlockt, ist bei den krassen Klassengegensätzen offensichtlich. Wir haben die leichte Route gewählt, die Autobahn von Sidi Allal el Bahrao nach Meknes Ouest. Knapp fünf Euro, 46 Dirham, haben uns mit entspanntem Fahren gelohnt. In Meknes parken wir - passend zu meinem Gefühl als Tourist - neben dem Rummelplatz.

Neben dem Rummelplatz parken wir - recht passend zu meinem Empfinden des afrikanisch-orientalischen Treibens ringsum.

Seit meiner ersten Marokko-Reise vor 40 Jahren, nach sieben Indien-Fahrten, scheint mein Bedarf an Basar oder Altstadt-Besuchen sich langsam zu sättigen. Immer noch werden in Europa ausrangierten Autos, zumeist Daimler, auf der Straße repariert. Immer noch fließt dort Öl über den Asphalt. Immer weiter breiten sich Müll, Plastik, Lärm und eine duftende Würzmischung aus technischen und agrarischen Produkten aus.

Geschickte Mechaniker reparieren Mopeds, Fahrräder, Autos einfach auf der Straße - vor den Augen der Kunden.

Die Reiseführer beschreiben schon ausführlich die Geschichte des Palastbaus. Gigantische Tore führten zu einem Palastbezirk, den 40 Kilometer Mauern umgaben. Der Despot ließ 30.000 Sklaven dafür schuften, befruchtete in seinem Harem 500 Frauen. Diese Beglückten schenkten ihm 1000 Kinder. Glückwunsch dazu.

Vom Größenwahn des despotischen Tyrannen zeugt die Menschen verachtende die Architektur.

Zu Zeiten, in denen verelendete Massen in Frankreich gegen ihre Operetten-Potentaten revoltierten, in den Zeiten zementierten Eliten ihren Machtwahn in Architektur. Derzeit steigert der elitäre Geldadel mit jeder Rangstufe auf der Leiter den Ausstoß an Kohlendioxid. Wir Touristen mit unseren rollenden Burgen stehen da schon recht weit oben. Doch mein Herz schlägt für meine liebe Frau daheim, selbst Marktweiblein im Sommer und Winter. Bald schon beginnt auch dort in München wieder ihre Marktsaison. Sie verkauft zuerst Spargel, dann Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren. Hier hat die Saison für Erd- und Himbeeren schon begonnen.

In Marokko beginnt anscheinend die Erdbeerzeit schon im Januar.

Je mehr Sonne scheint, umso mehr spielt sich das Leben auf der Straße ab. In Indien war noch vor Zeiten zu sehen, wie Zahnreißer ihre Kunst auf der Straße praktizieren. Und in Saudi-Arabien sollen ja sogar Henker verurteilte Verbrecher in den Gassen vom Leben zum Tode befördern. Nur zur Zeugung verkriechen wir merkwürdigen Menschen uns zumeist ins Dunkel der Nacht.

Die Straße ist Markt- und Müllplatz, Reparaturwerkstatt - und vor allem laut.

An der Küste blühen Betonburgen für die Invasion der Touristen. Wo einst der Strand frei war für jeden, dürfen die Seegrundstücke der Nobelhotels nur noch Kunden betreten.

Ob dem Bauherrn das Geld ausgegangen oder die Pläne für den Bau noch nicht fertig waren, ließ sich nicht feststellen.

Doch all die Gedanken sind reichlich nutzlos. Besser ist es, den Tag zu gewinnen für neue, wunderbare Eindrücke und Überraschungen. Wie erwartet fiel Nachts der Strom für Kühlschrank aus. Denn der Generator des wunderbar, ruhigen Campingplatzes arbeitet eben nur von 18.00 bis 22.00 Uhr. Dafür funkeln Sterne durch die Dachluken. Aus 19 Kilometer Entfernung schimmern gelb die Lichter von Meknes.

Dieser Dieselmotor mit angeschlossenem Generator liefert von 18.00 bis 22.00 Uhr Strom für den Campingplatz bei Moulay-Idriss.

Die etwa sieben Grad Kälte der Nacht bekämpft in meiner Plastiktonne effizient die Gasheizung. Dabei erhitzt das Gas gleichzeitig Wasser. Das reicht noch Stunden später nach unserem Ausflug für eine warme Dusche im Sonnenschein außerhalb des Autos. In vielen Stufen auf engen Gässen durch die Altstadt von Moulay-Idriss nähern wir uns dem Heiligtum, bis uns ein Schild klerikal-faschistoider Intoleranz - nach meinem überreizten Empfinden zumindest - weiteren Zugang verwehrt.

Nachdem mir bei meinem unbedarften Betreten eines Heiligtums im Iran 1976 schon Prügel gedroht hatten, ist es für mein reiferes Alter verständlich, unbeobachtetes Beten barmherziger Brüder zu beherzigen.

Doch nach einigen Irrungen und Wirrungen über zahlreiche Stufen der Altstadt dürfen auch wir Ungläubige das Heiligtum auf unsere verstockten Herzen wirken lassen. Aus einer Schule klingt der einförmigen Singsang der Kinder, um sie zu gefestigten Glaubensbrüdern zu formen.

Schon der Anblick des Hohen Heiligtums von Moulay-Idriss rührt an verstockte Herzen ungebildeter Ungläubiger.

Mittlerweile ist Johannes, den gestern in Meknes ein Führer stundenlang durch Ecken und Winkel geschleift hat, sehr geschickt daran, die Dienste von allseits bereiten Führern abzuwimmeln. So finden wir aus eigener Kraft, was von oben nicht zu übersehen war: Das einzige runde Minarett in ganz Arabien, Afrika - oder wo auch immer. Da Allah auch uns Ungläubigen die Werke seiner frommen Diener in bestem Licht zeigen will, schenkt er uns wieder Sonne für bessere Fotos.



Das einzige runde Minarett weltweit, oder zumindest in ganz Arabien, vielleicht auch nur in Afrika, sicher aber in Marokko steht in Mullay-Idriss.

Bei der unausbleiblichen Wirkung von soviel muselmanischer Heiligkeit auf uns Ungläubige, wird mir nun auch die strenge Befragung des Grenzers in Tanger Med bei der Einreise klar. Fragte der Uniformierte doch: "Haben Sie Waffen?" Natürlich nicht. Auch die weitere Frage des Zöllners traf geradezu meine entschiedene Ablehnung, weil mir Bibeln zuwider sind. Er fragt also, was mich über den Sinn seiner Worte sinnen ließ: "Führen Sie christliche Schriften mit sich?" Nun beantwortet mir meine Wallfahrt nach Moulay-Idriss meine Frage: Die erhebende Wirkung der grüngedeckten Heiligtümer soll mich aufschließen und vorbereiten, zum Rechten Glauben zu konvertieren. Doch neben den geistigen Genüssen soll auch der Körper zu seinem Rechte kommen. Also verspricht mir der eil- und dienstfertige Kellner in fünf Minuten einen heißen Tontopf vegetarischer Köstlichkeiten aufzutischen, ganz ohne Fleisch. Dies Versprecher hält der gute Mann auch, der nach fünf marokkanischen Minuten, etwa 20 Minuten Westzeit, den dampfenden Tontopf mit Brot auftischt. Köstlich, wirklich köstlich - um ein Vielfaches besser als mein erstes Essen in Mouley Bousselham, was mich verließ, wie es hineinging.

Bevor mich Geistige Genüsse der Heiligen Stätte konvertieren, verlangt der Körper nach Nahrung.

Das herzhafte, schmackhafte Mittagsmahl macht uns neugierig auf die Römische Ruinengroßstadt in nächster Nähe von Moulay-Idriss: Volubulis. Eine römischen Ruinenstadt solchen Ausmaßes war mir bislang fremd.

Mosaiken, Straßen, Tore - eine Römische Stadt aus Ruinen in beachtlichem Ausmaß liegt in Volubilis, nahe Moulay-Idriss.

Der Reiter in Volubilis hat sein Pferd wohl falsch bestiegen.

Bei unserer Wanderung durch die Ruinen von Volubilis stoßen wir auch auf ein in Stein stilisiertes Körperteil - vermutlich ein römisches Heiligtum. Wie die meisten Hostien erscheint auch dieses Kunstwerk in Stein wie geleckt.

Der römische Phallus in Stein ist in Volubilis - wie so vieles - zu bewundern.

Ziemlich erschöpft von soviel Eindrücken in der drückenden Frühlingssonne fährt Johannes auf den wunderbaren Campingplatz bei Moulay-Idriss zurück. Wir belasten uns nicht mit weiteren - wohl auch empfehlenswerten - Abstechern in die grüne Berglandschaft ringsum. Als letzte Frage bleibt nur noch: Wofür mögen die Menschen in Moulay-Idriss demonstriert haben?

Vielleicht kann jemand den Text auf dem Plakat der Demonstranten in Moulay-Idriss übersetzen?