24 Dezember 2013

Weihnachtsmarkt Bamberg

Kalt, kälter, Weihnachtsmarkt. Mimas Marktwelt ist kaum zu beschreiben. Wer schreibt, ruht in sich, sieht sich selbst, schafft aus Wörtern eine Welt. Ganz das Gegenteil: Marktverkäufer verbinden Produzenten mit Konsumenten. Viele Marktwaren macht Mima selbst, Wunder ihrer Inneren Welt, ihr Angebot an die Äußere Welt. Die wird immer kälter. Hier berichtet ihr Weihnachtsmarkthüttenknecht vom Lust und Leid seiner Vorweihnachtszeit.


Diese Steckenpferde unter dem Dach der Futterkrippe freuen Junge wie Alte. Die Alten erinnern sich ihrer jungen Jahre. Manche hätten selbst solche Steckenpferde gebastelt. Kleine Mädchen verlieben sich in die knopf-kulleräugigen Zottelpferde und lassen es sich schenken.

Bald ist der Markt überstanden. Der Countdown läuft: Vier, drei, zwei, eins. AUS! Wir sammeln unsere letzte Kraft für den Endspurt. Alter und Kälte kriechen mir in die mürben Knochen. Richtig warm wird es mir nie in der Ferienwohnung. Kalt fließt die Regnitz vor dem Fenster. Meine Füße fühlen sich an, als ständen sie im kalten Wasser. Nur die Sauna lässt mich schwitzen - zweimal in der Woche. Das ist mein Luxusleben gegen 70 bis 80 Marktstunden pro Woche meiner Mima.


Mima wacht in ihrer Welt: Sie öffnet ihre Hütte vor 9.00 Uhr morgens. Sie schließt ihre Hütte um 20.00 Uhr abends. Bevor sie ihre Hütte öffnet, radelt sie zur Garage. Sie belädt einen Bananen-Karton mit Waren, die wir tags zuvor verkauft haben. Sonntags müssen Marktleute erst um 11.00 Uhr öffnen. Doch weil Samstags der Tag mit den höchsten Umsätzen ist, müssen wir Sonntags in der Früh das Auto mit mehreren Bananen-Kartons neuer Ware beladen. Auch die schweren, stählernen Gasflaschen, die mit 11-Kilo-Gas gefüllt sind, fahren wir zum Wechsel mit dem Auto an.


Kalt, kälter, Weihnachtsmarkt. Der erste Schnee hat am Nikolaustag das Schindeldach der Krippe gepudert. Die Schlitten stehen und stehen. Die Menschen stehen, sehen, staunen, fotografieren. Vermutlich bestellen mittlerweile die meisten Interessen im Internet. Der Versandhandel konkurriert mit Mimas Präsentation der Schlitten auf ihrem Marktstand. Der schleppende Verkauf macht uns mutlos. Meine mehr und mehr mürben Knochen fühlen sich meinen bald 66 Jahren zu alt für das Geschäft. Dabei schont mich meine Frau: Nur Mittags und Abends verlangt sie für wenige Stunden, sie  zu vertreten. Stress und Kälte lassen uns gereizt reagieren.


Diese Schneemänner auf der Rathaus-Brücke über die Regnitz kann man sich in die Manteltasche stecken. Mehr Winter war und wird wohl nicht im Dezember 2013. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass die Schlitten sich so schlecht verkaufen wie Sauerbier.


In einem langwierigen Prozess lässt Mima aus Wachs diese wunderbaren Kerzen als Blüten entstehen. Jede einzelne Kerze ist ein Unikat, einmalig in Farbe und Form. Im Frühjahr hat sie Wachs in einem großen Tiegel geschmolzen, das flüssige Wachs auf Kuchenbleche ausgelassen, gefärbt und geschnitten. Aus diesen gefärbten Wachsplatten knetet Mima in ausdauernder Arbeit ihre Blütenkerzen. Die Lichthäuschen stellen emsige Handwerken in Litauen in detailgetreuen Kleinserien her. In diesem Jahr ziehen amerikanische Soldaten aus Bamberg ab. Einige nehmen sich das Modell des Bamberger Rathauses mit.


Links vorne steht das Modell des Bamberger Rathauses. Nach zahlreichen unserer Fotos haben die Künstler in Litauen dies Modell aufgelegt und speziell für Mimas Bamberger Weihnachtsmarkt produziert. Das Rathaus, welches auf einer Regnitz-Insel steht, verbindet die Altstadt mit dem Marktplatz. Vorn und hinter dem Rathaus-Modell stehen die beiden Brückenbogen.


Ein typischer Dezembertag: Grau und dunkel noch am "helllichten" Vormittag trutzt das Rathaus den Fluten inmitten der Regnitz. Krähen krächzen um den Rathausturm, den auch das Modell ziert. Die empfindliche Einzelteil, wie alles aus speziellem Ton gebrannt, klinkt sich an zwei dünnen tönernen Streifen in eine Öffnung auf der Dachspitze ein. Nichts davon darf brechen oder bröckeln. Sonst wäre die kostbare Ware entwertet. Es ist leichter, Strümpfe zu verkaufen.


In solchen Zeiten von Stress und Spannung ärgert es doppelt, wenn meine "Walkuh" plötzlich ein Strafbefehl belastet. Der Vorwurf lautet: "Sie parkten verbotswidrig auf dem Gehweg. $ 12 Abs. 4, § 49 StVO; Verwarngeld 20,00 Euro". Ob mein Einspruch dagegen per E-Mail wirksam wird, kann sich erst zeigen, wenn wir daheim in München wieder unsere Post studieren.


Wieder einer dieser selten schönen, winterlichen Tage: Auf meinem kurzen Radweg, um Mima in ihrer Hütte mittags zu vertreten, blickt man von der unteren Rathausbrücke auf die Regnitz. Der Dampfer "Bamberg" liegt im Winter vertäut am Ufer. Die Häuser dahinter nennen sich "Klein-Venedig". Über allem thront ein blauer Himmel mit weißen Streifen.


Mima erwartet meine Vertretung vor 12.00 Uhr mittags. Eine fast frühlingshafte Sonne liegt zur Mittagszeit über der Marktstraße. Doch die Sonne steht so tief mittags am Himmel, dass längere Schatten entstehen als im Sommer am Abend.


Am Sonntag, den 22. Dezember, muss schon dieser Teil von Mimas Marktstand verschwinden. Krippe, Schlitten und Vogelhäuschen lagern dann für den nächsten Markt. Bislang haben die Verkäufe dieser zwei Meter kaum die Kosten für den Aufbau und die Stand- wie Wachgebühren eingespielt.


Auf dem Wohnmobilstellplatz am Heinrichsdamm steht dieses Allrad getriebene Luxusgefährt der Marke Bimobil. Der Neupreis liegt weit über einem sechsstelligen Eurobetrag. Der Luftrüssel an der Fahrerseite saugt selbst noch Sauerstoff an, wenn der Fahrer schon bis unter die Nase durch Wasser fährt. Die Chromreling schützt den Dachaufbau bei Fahrten durch den Dschungel.

Meine Freizeit-Fantasie beschäftigt sich mit Autos, Fernfahrten, mit Frauen und Getränken. Das Wirtshaus "Schlenkerla"  bietet die Portion Sauerkraut für 50 Cent. Ausnahmsweise gibt es auch eine Portion Kartoffeln dazu, auch für 50 Cent. Das Bier, ein würziges Rauchbier vom Fass, kostet 2,60 Euro.


Hier, in der Gaststube vom Schlenkerla, lassen sich leicht die Mühen der Marktstunden vergessen. Doch weil die Marktstunden nur mit zahlreichen Jacken und Hosen zu ertragen sind, muss man sich als Marktverkäufer erst einmal drei oder vier dieser Zwiebelschichten entledigen, bis man in der Hitze des Wirtshauses sitzen kann, ohne zu schwitzen.

 
Es bleibt mir genug Freizeit, um über das "Schweinesystem" zu philosophieren. Meine Gedanken ändern zwar nichts daran, allerdings erleichtert es mich, mir mit nahezu täglichen Leserbriefen bei SPON  meinen Frust vom Hals zu schreiben. Ob sich dafür jemand interessiert oder nicht, bleibt mir gleichgültig, solange mich mein Schaffen selbst erfreut.
 
Slomka vs. Gabriel: Medien-Dame vs. Politiker

 
Meine Horror vor der "GroKot" - die dann doch kam.



 
 



 

Am meisten haben mich Pelzmantel verhüllte Kunden mit Diamantschmuck an den gepflegten Fingern geärgert, oder besser: Diese Gestalten haben mir meine eigene Dummheit gezeigt! Da kommen diese wohl situierten, feinen Gesellschaften, lassen sich das größte und teuerste französische Landhaus zeigen und beginnen zu feilschen: "Machen Sie es 20 Euro billiger, wir nehmen es mit." Schweren Herzens seien den noblen Herrschaften fünf Euro Nachlass widerwillig eingeräumt. Die Bande lockt weiter: "Wir nehmen dann auch noch große Kerzen dazu, wenn wir genug Rabatt bekommen." Lachend ziehen sie ab, und versprechen später wieder zu kommen. Versprechen für später sind Lügen im Hier-und-Hetz. Ganz verspannt ärgert es mich, auf dies Geplänkel eingegangen zu sein. Die einzige richtige Antwort wäre gewesen: "Wenn Ihnen ein großes Haus zu teuer ist, kaufen Sie doch für zehn Euro ein kleines Haus ." Keiner handelt, der kleine Häuser kauft. Mir geht Francois Villon durch den Kopf, während an mir die Wurstfresser mit ihren Glühwein-Gläsern vorbei laufen und erwarten, sich von meiner Vorführung belustigen zu lassen. Dann fällt mir ein, was B. Brecht - frei nach Francois Villon - Macheath unterm Galgen seinen Peinigern ins Poesie-Album schreibt:

Man schlage ihnen ihre Fressen 
Mit schweren Eisenhämmern ein. 
Im Übrigen will ich vergessen 
Und bitte sie, mir zu verzeihn.
 

Der krasse Klassenkrampf passt nicht zu weihnachtlichen Freuden, passt nicht zum Weihnachtsfrieden? Daher lasset uns beten, wie die Bibel schon das Bedingungslose Grundeinkommen propagiert, die Prediger der Bibel:

24 Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
 

25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?


26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
DAS EVANGELIUM NACH MATTHÄUS (Mt 6,25-26)

 

Also richten sich meine Augen gen Himmel. Denn bevor sich mein Zorn auf die Verhältnisse in verbiesterte Bockigkeit steigert, entspannt mich besser ein Schlenkerla-Rauchbier. Wunder über Wunder! Die Sonne lässt die gebauschten Röcke von Jesus-Maria blinken im Bamberger Klerikal-Kitsch. Diese mittelalterlichen Stadt füllt mittlerweile mit der Geschichte ihrer wütenden Hexenverbrennungen Buchregale. Die Verantwortlichen bieten den Touristen aus aller Welt einen vergnüglichen Abenteuer-Spielplatz mit mittelalterlichem Flair. Die Verantwortlichen lassen ein Museum mit dem grausigen Gemetzel der Hexenverbrennungen bespielen. Touristen schauern und schauen schöne sadistische Stories. Schon erstaunlich, wenn die Menschen hierzulande ihre grausige Geschichte in museal und medial wie zur Verfolgung verfemter Minderheiten aufarbeiten.


 
Die letzten drei Tage! Der Fluch der Treue verkettet mich mit meinem Marktweiblein. Wieso mich Liebe, Lust und Laune nur vor vielen, vielen Jahren an mein Marktweiblein gebunden haben? Jetzt kommt die Rechnung: Kalt, kälter, Weihnachtsmarkt. Sie lässt mir Muße und Freiheit, wie meine Berichte beweisen. Diese entstehen in Ruhe, im Warmen. Doch sie rechnet auf mich als treu und zuverlässige Hilfe, damit sie Mittags und Abends Pause macht.

All diese Leute! Wie kann sie nur so viele Stunden mit immer gleichem, gütigen Lächeln diese Leute ertragen? Doch so erträgt sie auch mich. Ein Wunder, die Frauen im allgemeinen und Mima im Besonderen. Früher waren die Zeiten leichter, lustiger. Die Mutter lässt sich vom springenden Blechfrosch, der rennenden Blechente und der pickenden Blechvögel begeistern. Ihr Söhnchen zieht derweil lieber sein Handy aus der Tasche.


Doch nicht alle Kinder verlieren sich in digitalen Gefilden. Auf dem Weihnachtsmarkt trifft sich diese Band. Seine ersten Tanzschritte präsentiert der junge Mensch mit roten Schuhen. Das Schild in der Höhe weist an, wo die Marktleute Weihnachtsbäume verkaufen.


Vierter Advent, der Abbau naht. Unsere Autos stehen startbereit. Die "Seekuh", Mimas Weihnachtsmarkt-Transporter, zieht den Anhänger heute Abend zum Markt. Es kommen zwei starke Helfer, um den ersten Teil zu verladen. Der Rest folgt am Montag. Licht scheint am Ende des Tunnels.


Der vorletzte Marktabend: Greg, Mimas Mann aus Texas, baut die Krippe ab. Das Schindeldach ist schon abgebaut. Jetzt folgen die Querstreben, der Futtertrog, die Seitenteile. Das Schwerste sind die Bodenbrett, jedes vom gefühlten Gewicht eines Klaviers.


Unvergeßlich bleibt die schallende Stimme von Mimas Marktnachbarin. Hier am letzten Tag plakatieren ihre Schilder: "Ausverkauf 50 Prozent auf alles egal was"


Nun genug Weihnachtsrummel! Mir reicht es! Das war die erschröckliche Geschichte von mir, Mimas Weihnachtsmarkthüttenknecht Anno Domini 2013. Zwischen Lust auf päpstliche Hoffnung auf gerechter verteilten Reichtum und dem Leid, wie Brechts Verbrecher Macheath unterm Galgen seine Peiniger verflucht, schwanken meine Gefühle. Doch Summa Summarum: Es war eine schöne Urlaubszeit. Sie hat meinem Blutdruck gut getan.





Am Weihnachtstag fährt dieser SUV seine große Hütte ins Winterquartier.

Das "Neue Licht" ist nach der Wintersonnenwende schon spürbar.


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