Reisen ist wie eine Sucht, die Suche, die Sehnsucht nach Abenteuern. Klaus, der mehr auf der Straße in seinem Blauen Wunder als daheim in seinem stillen Landhaus lebt, stempelt unter jede Mail als Signatur: Die Heimat des Abenteurers ist die Fremde.
Wir wagen den harten Weg nach Marrakech: Das zweite Mal soll uns die Walkuh über den Tizzi-n-Test bringen auf einer einspurigen Schlaglochstrecke am Rande des Abgrunds. Zunächst will Mima fort aus dem lauten Agadir, fort vom verwahrlosten Camping International inmitten der City. Der Platz sucht wirklich seinesgleichen! In sträflichem Leichtsinn liegen 220-Volt Kabel frei in Schaltschränken, blanke Drähte drohen mit Hochspannung, deren Steckdosen heraus gerissen sind. In der Toilette neben dem Urinal sind die Kassetten in einer kleinen quadratischen Öffnung zu entleeren, wobei eine eklige Flüssigkeit über zerbrochene Fliesen schwappt. Ein Wächter mit Lampe schwirrt nachts umher, um Gesindel von der rissigen Mauer um das Gelände zu vertreiben. Das Gelände gilt Fremden schlecht nur als Heimat. Mima fühlt sich dort nicht daheim. Wir verlassen also Agadir, ohne es leider nicht noch abschließend einmal bis ans Meer zu schaffen. Erst auf den lauten, langen Straßen nach Taroudannt finden wir zurück in unseren Reise-Rhythmus. Dazu machen wir einfach an einer erholsamen Autobahnraststätte Pause, die mit dem einladenden Namen Oasis Cafe Tafernout wirbt. Das Auto steht davor im Schatten von Bäumen, was hier viel wert ist. Feierabend am frühen Vormittag: Wir fallen in einer Bio-Plantage ein, die eine Deutsche mit ihrem französischen Mann aufgebaut hat. Nebenbei bietet sie Reisenden Platz. Die Ordnung mit Hausordnung fällt gleich am gut geräumten Gelände auf. Es gibt ein Blatt zum Empfang mit genauer Hausordnung, etwa gefühlten 25 Paragraphen. Im Laden verkauft die umtriebige Dame Bioprodukte und Eingemachtes. Schmale Kieswege winden sich durch das Gelände, auf dem sich der Gast nur mit Erlaubnis von den Früchten bedienen darf. Das Wasser im Schwimmbecken ist kalt, nimmt mir aber den Druck vom Kopf. Trotz aller geöffneten Luken wird mir eine Hitze von 30 Grad Celsius schnell unerträglich.
Auf dem geschlungenen Kiesweg im Garten von Koudya erschrecken sich zwei Wanderer: Die eine steckt den Kopf in ihren Panzer, beide bleiben stehen.
Erstmalig hier im Lande auf einem Nachtplatz weist die Rechnung vom Biogarten-Camping Koudya die Steuer TVA 10 % aus. Es herrscht Ordnung im Jardin de la Koudya, doch die Ordnung, die Stille, das Grün sind heilsam nach der verwahrlosten Fülle in Agadir auf dem Camping International.
Auf dem ruhigen Landplatz im Grünen zirpen die Grillen, Frösche quaken, Nachtfalter verirren sich ins Auto.
Palmen, Kakteen, Schildkröten und Schmetterling: Koudya erinnert eher an einen botanischen Garten als an Camping.
Dennoch hält es mich nicht still an einem Platz. Die Stadt Taroudannt lockt. Wir sollten noch nachmittags einkaufen. Ein Stadtbesuch in der asiatisch-afrikanischen Menschenfülle enger Straßen, danach steht mir der Sinn. Wie langweilig Bücher erscheinen, wenn die Unruhe geschäftiger Menschen Dich ansteckt und Du Dich instinktiv sicher in Straßen orientierst, die Du noch nie gesehen hast und wohl nie wieder sehen wirst. Wieder findet sich ein sicherer Weg zurück, bevor sich der ausdämmernde Tag dann bei der Rückfahrt vollends verdunkelt. Nach den 20 Kilometern Fahrt zum Einkaufen nach Taroudannt findet der rastlose Reisende Ruhe - endlich erschöpft.
Taroudannt feiert den Weltfrauentag: Verkaufsstände und eine große Bühne zieht viel Publikum an - auch uns.
Die jungen Damen begreifen gefühlvoll eine Halskette im XXL-Format.
Das silbrig fließende, kostbare Nass sammelt sich im Waschbecken aus Silber.
Das Fest zum Weltfrauentag wird anscheinend von einer Kaffee-Kette gesponsert. Hier schaut der strenge Repräsentant auf die respektlose Fotoneugier des Ungläubigen.
Palmen, Wasser und Springbrunnen weisen den Heilsweg aus irdischen Garten zur sakralen Sphäre der Moschee.
Wir wollen endlich einkaufen: Irgendwo lässt uns die Stadtmauer durch ein Tor in die Innenstadt.
Einem ersten Tor folgt ein zweites, bevor wir in immer engere Gassen einlaufen. Dort decken wir in köstlichen Kleingeschäften unseren Bedarf für die Strecke über den Tizzi-n-Test.
Junge Mütter holen ihre Kinder aus der Schule ab, freche Rotzlümmel ohne Aufsicht heften sich an unsere Fährte, um uns mit ihrem französischen Wortschatz wie Bon Jour zu beeindrucken.
Nur wer sich viel Zeit nimmt, Saft oder Tee trinkt, sieht im Einzelnen genauer, was es in Deutschland nicht gibt, nicht geben darf: Hier versucht wohl ein Häuslebauer, einen Balkon anzubauen.
Diesen Thron teilen sich wohl Mann und Frau zur Hochzeitsfeier.
Wenn die Stadtmauer von Taroudannt noch einmal so lange stehen soll, wie sie schon steht, brauchen die alte Steine viel Pflege.
Geruhsam steigen wir zum Tizi-n-Test auf. Stundenlang schlängeln wir sorgsam uns um Serpentinen, bis wir nach etwa vier, fünf Stunden die Höhe erreicht haben. Zwei-, dreimal müssen wir dem Gegenverkehr ausweichen, nicht der Rede wert. Die Fahrt macht Freude.
Hinter den Mauern aus Lehm findet eine Herde Schutz.
Die aus Lehm gebrannten Bauten unterscheiden sich farblich kaum vom Berg.
Nach einigen Stunden haben wir uns einen Minztee verdient. Beim geschickten Wirt lassen wir dann auch gleich wieder 200 DH für Silberwaren von Berber-Schmieden.
Den Minztee preisen die Wirte etwas euphorisch als "Whiskey de Berber". Dann also Prost.
Einfach endlos schrauben sich die schmalen Serpentinen bis auf 2200 Meter Höhe. Manchmal schafft man dabei sogar 30 Stundenkilometern, meist jedoch weniger.
Aus den weiten Niederungen schlängelt sich der Weg in luftigen Höhen des Tizi-n-Test.
Irgendwie muss man da rauf und irgendwie auch wieder runter auf der schönsten Straße in Marokko.
Auch wenn sich die Bilder gleichen, jede Kurve ist anders.
Der Felsüberhang ist mit gerade einmal drei Meter Durchfahrtshöhe ausgeschildert, doch etwas höhere Fahrzeuge passen auf der linken Spur doch noch darunter.
Besser nicht links, nicht rechts schauen - stur geradeaus Kurve um Kurve sich voran schrauben, heisst es für den Fahrer.
Auf der Passhöhe fällt der Blick auf die noch schneeumkränzten Häupter des Hohen Atlas.
Das nächste Bergdorf in der Tiefe hat viel, viel Natur zu bieten - sonst aber wohl eher wenig.
Nachdem jedes Kind zwei Bonbons erhalten hatte, waren sie zufrieden und lassen uns hoffentlich auch auf unserem freien Stellplatz im Dorf Idni unsere Ruhe.
Idni: Ein schattiger Platz in über 1500 Meter Höhe - ganz für uns allein.
Der Spaziergang von Idni in die Bergwelt eröffnet neue Perspektive, auch wenn sich die Bergdörfer ähneln.
Bei jedem Gastwirt in dieser ärmlichen Berggegend saßen wir heute auf Plastikstühlen, die in der Lehne oder wie im Bild auf der Sitzfläche mit Bindedraht kunstvoll geflickt waren.
Die Nacht am verfallenen Restaurant Alpine war wenig aufregend. In die einfallende Nacht quälten sich noch zwei, drei Sattelschlepper talwärts. Diese überlangen Gefährte nutzen das Dunkle, weil dann von weitem Scheinwerfer den Gegenverkehr signalisieren. Rückwärts in den Serpentinen mit 20 Meter langen Gespannen zu kutschieren, ist wohl kaum machbar. Die Nacht in über 1500 Meter kühlt die Luft auf vier Grad ab.
Ungläubige dürfen die Moschee, nurmehr ein seit 1993 restauriertes Museums-Gebäude gegen Gebühr besuchen. Wir erhandelten unseren Einlass für eine Tüte Bonbons und zwei Paar alte Strümpfe.
Bezeichnend wie die Autoren Riehl/Takada aus der WoMo-Reihe Band 67 die Sehenswürdigkeit beschreiben: Der Ort war Ausgangspunkt der Dynasie der Almohaden, die mit religiösem Feuereifer ihre Vorgängen vom Throne jagte - ein Mechanismus, der sich in Marokko immer mal wieder abspielte und von dem letzten Endes auch die seit 350 Jahren herrschende heutige Königsfamilie der Alaouiten bedroht ist: durch den Fundamentalismus unserer Tage. (Seite 100)
Diese Brücke ist typisch für die meisten Flussüberquerungen, hier führt sie zur TinMal-Moschee.
Moulay Brahim ist ein Heiligtum, wie wir sie von Lourdes oder Alt Ötting her kennen.
Ein "Heiliger Ort" wie Moulay Brahim braucht Restaurants, Hotels und Devotionalienhändler.
Wo viele Pilger ihr Geld hinbringen, da herrscht - wie in Moulay Brahim - ein beachtlicher Wohlstand.
Der Esel am Fuße des hohen Turms verschwindet rechts im Bild gegen die Dimension des majestätischen Bauwerks.
Hier nun strahlt das Heiligtum. Ob die Gläubigen unter dem Balken vor der Tür zum Zeichen ihrer Demut durchkriechen müssen, war nicht zu erkunden in der Kürze unseres Besuchs.
Das war uns bislang unbekannt: Dies Federvieh bewegt sich nur soweit die Leine an den Füßen reicht.
Bevor wir dann zum Abschluß unserer 64 Kilometer Tour vom Stausee in Wirgane ins etwa 30 Grad heiße Marrakech einlaufen, besuchen wir noch die Fülle eines Wochenmarkts, eines Souks.
Was wir auf einem Souk auch erstmalig entdecken: den Eisverkäufer.
Nach den erlebnisreichen Tagen erholen wir uns in Marrakech, bis nach weiteren zwei Nächten Mimas Flieger gen München geht.
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