Das letzte Wochenende der Reise war ein regnerischer, gesundheitlicher Reinfall. Don Quijote auf seinem Rad Rosinante mit Kamera statt Lanze hat sich zuviel zugemutet. Der Kopf dröhnt schmerzhaft, der Magen dreht sich um. Einige Stunden Schlaf erlösen von der Qual, bis es wieder gelingt, Atmen und Herzschlag zu spüren.
Vom Camp bei Honfleur bis zum Camp in Gent sind es etwa 400 Kilometer. Da geht ein Reisetag im Auto für drauf.
Obwohl die meisten LKW-Trucker schon im Wochenend auf Rastplätzen rumstehen, ist die Autobahn an diesem Frühlingssamstag sehr voll. Die Raststätten sind so überlaufen, dass mein 3,5-Tonner gerade eine Parkbucht erwischt, die jemand vor mir frei macht. Aber da die Raststätte mir ohnehin nur mit Mülleimern dient, stört mich der Trubel wenig. Nichts sollte stört. Es stört nicht, dass die Autobahn 44,40 Euro, das alte Baguette 2,55 und der Liter Diesel 1,78 Euro kostet.
Wunderbar: urban gardes GENT - ein Camp im Regen.
"Haben Sie reserviert?"
"Nein"
"Da haben wir nur hinten auf der Wiese noch Platz. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht stecken bleiben. Ich habe niemanden, der Sie rauszieht."
"Preis?"
"35 Euro pro Nacht."
"Teuer, geben Sie mir zwei Nächte."
So sieht der Platz aus, wenn der Fronttriebler sich aus der nassen Wiese wühlt und die Lenkung zu früh einschlägt. Doch für mich sollte der Platz gehen. Denn die Hinterräder stehen auf Plastikgittern. Der Hinterradantrieb zieht mich aus dem sumpfigen Grausland. Der Stromanschluß ist etwa 60 Meter weit weg. Zwei Kabeltrommeln im Regen überbrücken die Distanz. Vierhundert Kilometer Autobahn mit Fischdose zur Pause liegen schwer im Magen. Die Sanitäranlage ist gut.
Soll man in Gent den frühen Nachmittag im Auto dösen, glotz TV? Nein, raus auf dem Rad Rosinante, fünf, sechs Kilometer zum "Korenmarkt" ist ja nicht weit. Das Hochhaus am Fluß dient zur Orientierung.
Auch zeigt mir Google Maps mit dem Smartphone den Weg an.
Die Klappbrücke mit dem grünen Eisenrahmen ist ein weiterer Wegweiser. Auch das Pissoir am linken Rand wird gern genutzt. Das Fahrrad bleibt im Blick, das Smartphone am Rahmen in der Tasche kann drin bleiben. Nur noch drei, vier Kilometer bis zur Stadtmitte.
Der Trubel beginnt. Der erste Stadtpalast an der Gracht, vom Ausflugboot dröhnen laute Stimmen. Wer im Boot noch nicht besoffen ist, arbeitet wohl gerade daran.
Grau der Tag, grau die Pracht. Don Quijote mit der Kamera statt der Lanze hat dem Rad Rosinante die Satteltasche mit Regenrüstung aufgeladen, aber den Rucksack daheim im Auto gelassen. Das wird sich rächen.
Es ist doch Samstag, die Leute kaufen ein. Jetzt wäre der Rucksack gut, um noch etwas Obst für das Frühstück einzukaufen. Bei der Abfahrt in Honfleur war noch der Supermarkt geschlossen, nur Diesel gab es dort von der Automatentankstelle.
Das Zentrum ist erreicht, wenn der erste Kirchturm zwischen den Einkaufsstraßen hervor blinzelt. Aber was ist das? Das Smartphone hat nur noch 28 Prozent Akkuladung. Damit führt mich Google Maps nicht mehr zurück. Die Powerbank für das Smartphone ist im Rucksack, der ist im Auto.
Die Kirchturmuhr zeigt Viertelvorsechs. Im April ist es jetzt schon hell bis nach 20.00 Uhr, aber bleibt es auch trocken?
Die ersten Helden auf dem Sockel grüßen den Wanderer. Wer dort steht, ist mir doch egal. Radfahrer und Fußgänger bevölkern den Weg. Die Rillen von Straßenbahnschienen sind böse Fallen für Radfahrer. Mütter bepacken ihre Lastenräder mit ihrer Brut - auch derer zwei - und schießen mit fünfzehn bis zwanzig km/h durch das Gelände.
Einfach überreizte Nerven, selber schuld! Nach 400 Autobahnkilometer sollte sich ein 75jähriger Opa nicht noch in das Getümmel einer vollkommen fremden Stadt stürzen. Was meint denn Wiki dazu?
Gent (niederländisch [ɣɛnt]/[ʝɛnt], französisch Gand [gɑ̃]) ist nach Antwerpen die zweitgrößte Stadt Belgiens.
Meine Geduld am Abend neigt sich zur Gänze. Unmöglich, den Prachtbau ohne Fußgängerköpfe zu fotografieren. Nur noch den Rückweg finden aus der Viertelmillionen Stadt mit Bussen, Straßenbahnen, Schiffen und einer Unmege Radfahrer, nicht wenige davon im Kamikaze-Fahrstil.
Es wird mir zu spät, nur rasch heim ins Auto. Der Herr auf dem Sockel ist mir noch nicht begegnete. Er zeigt mir nur soviel an, dass mein Rückweg vom Hinweg abweicht. Die Sprachausgabe des Smartphone von Google Maps ist schon abgestellt, um Akku zu sparen. Doch das Bild fällt auch aus. Ein Anruf von der Frau daheim, nur sie ist es um die Abendzeit, klingelt noch - mehr nicht. Erster leichter Regen stellt sich ein. Irgendwie muss mein Weg an einer anderer Seite des Erholungsgebietes rausgekommen sein. Freundliche Menschen weisen mir den Weg, bis dann endlich Schilder den Weg zum Camp anzeigen. Es regnet stärker, aber noch nicht so stark, um die Regenplastik-Rüstung aus der Satteltasche anzulegen. Dazu brauchte man auch einen Unterstand, der fehlt.
Gent, mein zweiter Chaos-Tag
Ausgeschlafen und ausgeruht sollte mein zweiter Tag in Gent sich besser anlassen. Jedenfalls ist das Smartphone geladen, die Powerbank dabei, der Weg behutsamer angegangen und besser eingeprägt. Wer immer an diesem Fluß entlang fährt, kommt zur Klappbrücke mit dem grünen Eisenrahmen.
Etwas ausgeruhter und bei besserem Wetter sähe dieser Radweg am Fluß geradezu romantisch und einladend aus. Es kommt eben viel - wenn nicht alles - auf die eigene Stimmung an. Und die könnte besser sein.
Jedenfalls ist der Weg am Fluß bei Radfahrern beliebt. Eine Lichtschranke merkt jeden Radfahrer, den die Leuchtziffern anzeigen. Dies Jahr steht der Zähler bei über einer halben Million, der Tageszähler steht morgens auf 514, am Abend auf über 1400.
Die Straße mit den rosa Baumblüten fand gestern schon meine Aufmerksamkeit. Man sieht auf dem Pflaster das riesige Zeichen für Radfahrer, Papa fährt seine Zwilling auf der Straße spazieren. Der Weg daneben ist nicht gepflastert, doch auf der ruhigen Straße ist Platz genug für alle, solange keine Autos fahren.
Die grüne Klappbrücke mit dem vortrefflichen Freiluftpissoir dahinter gibt mir schon heimatlichere Gefühle in der fremden Stadt. Es sind wohl Touristinnen, die giggeln, wenn man sich gegenseitig beobachtet, während man hinter dem Schutzschild sein Wasser abschlägt.
Die fremde, große Stadt Gent bietet so ungeheuer viel Sehenswertes, dass mein selbst mein Schnelldurchgang an diesem verregneten Wochenende über 100 Bilder in die Kamera schwemmt.
Manchmal sind unsere Freunde, die Bücherwürmer, zu beneiden. Bedachtsam wählen sie ein Werk aus.
Dann brüten sie beim sanften Schein der Nachtlampe über Hunderte von Seiten, sammeln tausende Bücher - wie mein Dichterfreund HaHa.
Rast- und ruhelos Reisende wie mein Freund Klaus gerade nach 15.000 Kilometern Argentinienfahrt wieder in Hasta la Pasta haben kaum Zeit und vielleicht auch kaum mehr Lust, den eigenen Blog mit ihren Erlebnissen zu füllen.
Aber endlich - nach langem Telefongespräch - und fast einem Monat Pause schickt Klaus wieder ein Lebenszeichen von seiner Reise.
Doch zurück nach Gent, wo sich mein Sonntag morgen doch vergnüglicher anlässt als der Abend zuvor.
Fantasievolle Gebäude regen die Fantasie an, oder nicht?
Fahrräder fahren nahezu überall, müssen den rumpelnden Straßenbahnen Platz machen und vermeiden, mit ihren Reifen in die Schienen zu kommen.
Am Sonntag morgen erinnern Kirchenglocken Kunden daran, dass es Zeit ist zur Versammlung. Am rechten Bildrand hängt eine Glocke in ihrem Sockel.
Nach den Kirchenglocken folgt das Bimmelbammeln eines Glockenspieles mit abwechselungsreichen Melodien.
Auf den Zinnen dieser Giebel turnen Gestalten, die man mit einem Fernglas genauer getrachten sollte.
Nackt knien Büßer auf dem Sockel, während vom Kirchturm Glocken läuten. Sollte das trübe Wetter zum Sonntag passen?
Auf Schritt und Tritt ist man im Zentrum von Gent von Prachtbauten umgeben. Der Laden im Untergeschoß verkauft Sonntag vormittag Lebensmittel.
Mir fällt auf, dass chinesische und spanische Gruppen durch diese Altstadt geführt werden.
Leonidas-Pralinen sind wie hunderte verschiedene Biersorten ein belgische Spezialität.
Mein Ausflug am Vormittag neigt sich dem Ende zu. Daheim im warmen und ruhigen Auto gibt es ein oppulentes Mittagsmahl.
Bei all dem alten Gemäuer, den tückischen Straßenbahnschienen, dem quireligen Radverkehr ist mir wieder die Orientierung verloren gegangen.
An Hochschulen für Bildhauerei und Gestaltung muss es irgendwo und irgendwie zurück zum Camp gehen.
1852 EGMOND JAN BEVEREN 1897 liest man auf dem Sockel der Plastik.
Jetzt nur vor dem kommenden Regen den richtigen Weg zurück finden, ist mir wichtiger als diese muskulösen Fahnenhalter.
Lauschige Radwege durch Tunnel lassen sich entdecken.
Das blaue Schild vor EUROPABRUG ist schon ein guter Orientierungspunkt. Danach geht es allerdings auf verwirrenden Wegen durch die großen Parkanlagen.
Nach der Mittagspause im Auto treibt es mich zu einem dritten Besuch in die verwirrende Altstadt von Gent.
Draußen will niemand mehr sitzen.
Dieser Gastwirt hat jedem Tisch einen flackernden Ofen zur Seite gestellt - vermutlich ein Petroleum- oder Gasbrenner. Die Tische sind besetzt.
Der Sonntag endet, die Müllabfuhr sorgt für Sauberkeit.
Den alten Baubestand hält ein Korsett der Marke STABIL in Form.
Das Geschäft mit der dunklen Markise schmückt sich mit dem Titel FRITES ATELIER. Neben Bier, Schokolade sind "FRITES" ein weiterer Wirtschaftsfaktor.
Mit den Radfahrern, den Grachten, den Giebelhäusern erinnert mich Gent ein wenig an Amsterdam und auch an Münster.
Dies ist die andere Seite des Bauwerks, welche zur Straße hin das gelbe Stahlgerüst STABIL stützt.
Mitten in der Altstadt fehlt Gent nur noch eine prächtige Burg: Da ist auch dieses Bauwerk hinter einem Gewirr tückischer Straßenbahnschienen.
Für Gent braucht man einfach mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Sonne.
Bis hier hin und nicht weiter. Im Unterstand hinter dem Torbogen rüstet sich Don Quijote mit seinem Plastikponcho. Ein rauschender Regen trommelt auf das glatte Kopfsteinpflaster. Eine spanische Führerin erklärt ihrer Gruppe auf Sitzbänken in dem Unterstand die Schönheiten von Gent. Mich zieht es in schnellst möglicher Fahrt zurück zum Camp. Es war zuviel für mich. Kopfweh, der Magen dreht sich mir um. Gut Nacht in aller Frühe. Wenige kurze Schlaf bis 3.00 Uhr morgens gönnt sich der Körper.
Aachen
Der schnellste Weg zu meinem Bruder nach Dortmund war mir mit 300 Kilometern zu weit. Kürzer war es, einen Zwischenstop in Aachen einzufügen. Bei der Einfahrt nach Aachen versorgt mich LINDE mit 14 Litern Gas. Die letzte Ladung von etwa 14 Litern hat zwei Wochen geheizt, gekühlt und gekocht.
Der Stellplatz in Aachen kostet 23 Euro. Dreieinhalb Stunden Sauna in den Carolus Thermen kosten 30 Euro. Eine Kürbiskernsemmel kostet 90 Cents.
Zum ruhigen Tagesausklang gibt es Spargel. Das Edelgemüse schmeckt und tut gut. Im Notebook grüßt Schnabbeli-di-Babbeli per Skype. Das Ritual am Abend ist der Höhepunkt meiner einsamer Tage.
Deutschland empfängt mich mit einem Saunabad in der Carolus-Therme. Der Luxus nach mehr als sechs Monaten Reise auf Camps ist überwältigend. Treppenstufen alle einzeln mit Leuchtleisten versehen, Marmor, Chrom, Wärme, Liegebänke, viele verschiedene Saunen ... alles ein Genuss. Eine alte Bekannte gibt eine wunderbare Meditationsreise, was mich nach dem heißen Aufguss tief und glücklich entspannt. Wie überall gibt es auch im spiritüllen Gewerbe Werbung.
Was braucht der Mensch mehr, als seinen Atmen zu beobachten, seinen Herzschlag zu spüren. Wenn der Kopf vor Schmerzen klopft, sich der Magen umdreht, fehlt alle Kraft und Beständigkeit, sich glücklichen Atmens zu vergewissern. Gerade in eine Gruppe von Gleichgesinnten gelingt dies leichter. Am leichtesten nach einem heißen Saunaaufguß. Soweit meine Erfahrung mit diesem glücklichen Besuch in der Carolus-Thermen und der Meditation.
Ein asiatischer Kiosk nahe bei der Carolus-Therme hat sich mit SAT-Antenne und eindrucksvoller Werbung eingerichtet.
Sonst erschrickt mich Aachen, das sieben Jahre lang ab 1970 meine Heimat war. Der Niedergang ist überall sichtbar.
Noch ist Buntschland nicht flächenmäßig verelendet. Der Weg dahin scheint unausweichlich. Der Bahnhof von Aachen sieht aus wie immer.
Was die Menschen in Aachen lange nicht gesehen haben, lässt sich einen Augenblick blicken: Sonne auf dem Theater.
Die Warmquellen im Burtscheider Kurgebiet werden gerade renoviert. Der Himmel färbt sich für den nächsten Regenschauer wieder schwarz.
Zwanzig Kilometer außerhalb Aachens geben mir Freunde eine weitere Nacht Asyl. Die Natur blüht und gedeiht.
Auf großen Grundstücken können sich Menschen halbwegs selbst versorgen.
Von Energie autark zu werden, ist noch ein weiter Weg.
Dortmund
Der alte Kater sitzt im Garten meines lieben Bruders.
Unsere Wohnmobile bekommen dann im Mai die notwendige Wartung nach weiten Reisen.
Mein Bruder bewohnt ein Haus der Fantasie, auch sein Garten ist so ein fantastisches, kleines Reich mit den verschiedensten Gewächsen, die sich im Laufe der Jahrzehnte dort angesammelt haben und wachsen. Sein Blog wächst mir immer weiter ans Herz.
Einfach mal anklicken, es lohnt sich. Sonst gibt es viel Ruhe, Saunaruhe im Revierpark Wischlingen.
Die Menschen haben sich einen wärmeren Frühlingstag verdient.
Der lauschige See in der Hallerey ist eine Industrielache. Man kann dort nicht baden, Schrott und Müll sollen darin vermodern, sagt mein Bruder. Sonst machen wir, was wir als Brüder schon Jahrzehnte lang machen. Uli verkauft mir seine gebrauchte Lumix und sein gebrauchtes Telefon. Mein Aufstieg vom Samsung Galaxy 3 auf Galaxy S10 ist wieder ein großer Schritt, bei dem die Handy erfahrene Frau meines Bruders hilfreich zur Seite steht. Das Meite ist schon auf das S10 übertragen, nur das Wichtigste nicht. Das sind die Bankverbindungen, die neu zu installieren sind.
Das liebende Paar lebt seit der Heirat 1979 zusammen. Sie haben sich das große Haus in der stillen Sackgasse geschaffen, zwei prächtige Söhne mit Schwiegertöchtern und sechs Enkelkindern. Der große "Clan" bevölkert als deutsche Gemeinschaft die Straße in zwei Eigenheimen mit großen Gärten.
Auch mir schenkt Dortmund einen herrlichen, erholsamen Frühlingstag im Revierpark Wischlingen. Die dumme Gans pickt wieder und wieder begeistert ihr Spiegelbild in der Aluwand des Wohnanhängers an.
Der Älteste der Familie kommt fröhlich von der Arbeit heim. Ihm geht es - wie allen dort - gut.
Mein Bruder hat als Lehrer mit aller ihm zur Verfügung stehenden Disziplin Jahrzehnte lang erste und zweite Schulklasse unterrichtet, bis er nicht mehr konnte, bis ihm Geschrei von Schulkinder nervlich unerträglich wurde und er in Ruhestand gehen musste. Seitdem lässt er seine Fantasie frei schweifen, malt, musiziert, fotografiert, repariert Haus und Autos, schreibt Blogs und war gerade für fünf Wochen nach Marokko gereist.
Münster, Dortmund, Aachen waren drei Städte, die jeweils sieben Jahre lang meine Heimat waren. Hier wartet eine schier endlose Schlange auf die Ausgabe des 49-Euro-Tickets in der Dortmunder Innenstadt.
Am letzten Tag meines zweitägigen Besuchs in Dortmund zeigt mir mein Bruder die mir einst so vertraute Innenstadt, die uns nun beiden zunehmend fremd geworden ist.
Wo in Frankreich McDonalds in alten, prächtigen Innenstadtgebäuden residierte, da bröckelt bei McDonalds in Dortmund der Putz. In Frankreich erschien mir McDonalds wie ein Sozialrestaurant. In Dortmund muss sich McDonalds gegen Konkurrenz noch billigerer Fressbuden behaupten.
Uns erscheint die Stadt Freitags um die Mittagszeit seltsam leer.
Merkwürdig, dass die Innenstadt Dortmund am Freitag vormittag, wie ausgestorben wirkt.
Dabei hat die Innenstadt von Dortmund doch Baudenkmäler zu bieten wie dieses Warenhaus.
Doch das Baudenkmal Kaufhaus Galeria ist wegen Betriebsversammlung geschlossen. Der Markt ist offen, doch Publikum fehlt meines Erachtens.
Nach einer kleinen Stärkung besichten wir wieder meine alte Heimatstadt Dortmund, wo mein Bruder mit seinem "Clan" zeitlebens wohnt.
Südlich des Western Hellwegs, südlich des Dortmunder Bahnhofs kann man das Gelände zur "Oberstadt" zählen.
Die Zeiten, in denen ein Adler Kraft und Stärke symbolisierte wie bei der Adler-Apotheke in Dortmund, haben sich gewendet. So mutierte für viele der Bundesadler zum Pleitegeier.
Nördlich der Reinoldi-Kirche beginnt der "Abstieg" durch die Brückstraße in die Dortmunder Nordstadt. Auch die Brückstraße war einst eine beliebte und belebte Geschäftsstraße.
Heute beginnt die Pracht mit einem VIP-DÖNER und ZOROS TACOS. Dagegen kann McDonalds kaum konkurrieren.
MIR Kahvalti Simit Evi hat sich nicht lange gehalten, denn die roten Plakate über den Schaufenstern verkünden: Attraktive Ladenfläche provisionsfrei zu vermieten.
Etwa 1964 verkaufte Radio Van Winnsen am Ende der Brückstraße Widerstände, prüfte Röhren für unsere alten Radios, an denen damals zu basteln mein Hobby war. Und jetzt verkauft ein Beautystudio WIMPERNVERLÄNGERUNGen.
Wir lassen die freudlose Gegend hinter uns, in denen schwer integrierbare Neubürger unser altes Dortmund nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen umgestalten.
Wir wundern uns kaum mehr über die voll verschleierte Dame in schwarzer Kutte, deren Augen zwischen schwarzen Tüchern mehr zu ahnen als zu sehen sind. Wie andere der Art auch schiebt sie einen Kinderwagen. Mein Bruder beteuert wieder und wieder seine Erleichterung, dass er als Lehrer der Schulhölle entfliehen konnte, wo sich heutige Lehrer mit einem hohen Anteil von Kindern beschäftigen, die Deutsch als Fremdsprache erst erlernen müssen.
Mein alter Freund Dirty Harry in Münster
Harald ist seit 1976 mein ältester Freund. Wie andere aus der prekären Kaste teilt er die dort übliche links-rot-grün versifften Anschauungen. Geld wächst für ihn auf Bäumen, eine Diskussion darüber ist ihm verhasst wie auch der Begriff "prekär".
Wir haben uns beide auf das Treffen nach langen, langen Jahren gefreut. Er hat mich vor der Tür erwartet. Er residiert mit Katze und Frau in seinem musealen Ambiente.
Da mir seine hohe Reizbarkeit von unserer Whatsapp-Kommunikation bekannt ist, erfährt er von mir wenig. Dafür breitet er seine musealen Schätze vor mir aus, begeistert sich an einer alten CD mit seinen Arrangements von Volksliedern. Diese Kunst hat er mit in einem Terzett in einer Kapelle vor begeisterten Leuten aufgeführt, die bei Liedern wie den Zwei Königskindern zu Tränen gerüht gewesen wären. Die Leute waren älter als seine gebrannte CD, die an manchen Stellen aussetzt.
Stolz präsentiert er mein Geschenk, den fünfjährigen Calvados aus Honfleur, findet aber die darin eingerollte Rechnung als ungehörig.
Haha überlässt mir die Daten seines letzten literarischen Werkes, welches in meinem Auto vor der Tür schnell als Download auf dem ihm gewidmeten Web-Auftritt zur Verfügng steht. Wer sich näher mit der Geisteswelt dieses Künstler beschäftigen will, dem sei die Lektüre empfohlen.
Nachdem der lange Musikgenuß in seinen musealen Gemächern überstanden ist, wobei mir der Abfall um einen halben Ton seines mittlerweile auch schon verstorbenen Bass-Sängers des Terzett nicht aufgefallen ist, der ihn nach all den Jahren noch sichtlich wurmt, fahren wir per Bus zu einem Portugiesen. Meine Bestellung einer "vegetarischen Vorspeisenplatte" ist voll von Fisch und Fleisch, doch nach meinem ersten blöden Bissen davon, lässt sich das Gericht nicht mehr zurückgeben. Freund Haha begeisterst sich an einem Fisch-Spieß und bestellt munter Vinho weiß, Nummer eins, zwei und drei und beschließt sein Mahl mit einem Espresso. Geld interessiert ihn nicht, mich schon. Eine solche Rechnung von 54,90 plus fünf Euro Trinkgeld hat meine siebenmonatige Reise bislang nicht belastet. Zudem erregt sich der Herr Kapellmeister über einige Einwände, die sich mir nicht verkneifen lassen, was dann schnell seine Gesichtsfarbe vor Zorn rötet. Bevor er sich über mich als "Blödmann mit Tunnelblick" weiter aufregt, fragt er, wo meine Menschlichkeit wäre u.dgl. Schließlich beruhigt er sich wieder. Sonst hätte er seinen Wein für 14,50 Euro auch selbst zahlen müssen. Zum Glück fängt es sich wieder ein. Abschließend scheint er ganz gerührt, umarmt mich zum Abschied, während in mir zurückgehaltener Ekel aufsteigt.
Vor meinem Auto befreit sich mein Körper mit mehrfachem Erbrechen von diesen widerlichen und nicht verdaubaren Eindrücken. Während mein Körper mit Magenschmerzen sich im Bett windet vor dem frühen Schlaf, trudeln seine Nachtnachrichten - wie gewohnt - bei Whatsapp ein.
[17:54, 28.4.2023] Erhard Thomas: http://www.haha-hartmann.de/katzen.htm
Hier war gerade Pause in meinem Auto vor dem mir zwangsweise verordneten Konzert seiner CD. Die Web-Seite schnell zugeschustert und ins Netz gestellt, enthält nun ein weitrees seiner "unsterblichen, literarischen Werke." Nachts läuft er immer zur Hochform auf, wie seine Whatsapp-Nachrichten zwischen 23:03 und 3:59 Uhr dokumentieren.
[23:03, 28.4.2023] Harald Hartmann: 😴 nachtruhe ... ❓
[23:34, 28.4.2023] Harald Hartmann: _
'wir kommen ja doch nicht voneinander los.'
e. t.
das nachkriegsjahrhundert verbindet uns.
(zwischen den kriegen)
h a h a
[00:00, 29.4.2023] Harald Hartmann: _
entschuldige, wenn ich ein wenig 'échauffiert' war - doch da kamen so viele sachen hoch ...
[00:49, 29.4.2023] Harald Hartmann: ___
wie geht's eigentlich der lokusblume ... 🌼
🤔
[01:24, 29.4.2023] Harald Hartmann: _
m ü r r i s c h -
so ist es wohl am besten ausgedrückt, wenn du unter leuten bist ...
[02:08, 29.4.2023] Harald Hartmann: 🍸 dank für den calvados❣️
hab noch'n klein'schluck genommen
[02:08, 29.4.2023] Harald Hartmann: 😋
[03:13, 29.4.2023] Harald Hartmann: ___
grüß deinen bruder ulrich thomas herzlichst von mir und bestell ihm, dass er glücklich sein darf, dass er noch seinen bruder
h a t ...
[03:29, 29.4.2023] Harald Hartmann: ___
tot unsere kinder, verschollen unsere weiber, existenz im vagen ...
atemnot dazu, katastrophisches für die nachgeburt, geldausgeben für firlefanz, -
'in mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen'
[03:40, 29.4.2023] Harald Hartmann: ___
🚙 gute fahrt nach bielefeld undsoweiter
in der ostzone wartet
die züchtige hausfrau
hüterin des hauses
treue gattin
'wer so stirbt
der stirbt wohl'
[03:48, 29.4.2023] Harald Hartmann: _
💔still steht das herz
atem wird nicht mehr sein
[03:57, 29.4.2023] Harald Hartmann: ___
wer den planeten nach uns noch bevölkert
temperamentvoll rufen wir ihm zu:
SZWDZK
[03:59, 29.4.2023] Harald Hartmann: in aeternitas aeternitatis
amen
Seine Nachrichten protokollieren diese für mich leidvolle und teure Begegnung, die mich zur Entscheidung bringt, bis auf weiteres den Meister sowohl von meinen Geistesfürzen verschont zu lasse, wie auch seine Auslassungen nicht weiter zu beachten. Übrigens: Besonders spaßig war dann etwa eine Viertelstunde Warten auf dem Rückweg an der Bushaltestelle. Der Herr Kapellmeister, der jedes Auto inbrünstig als "Pisskarre" beschimpft, bekam plötzlich Lust auf ein Taxi. Koste nur zehn Euro die kurze Strecke. "Wieso das denn, ist doch schön hier", war mein Kosten senkender Kommentar.
100 Jahre Tante Isolde
Schon um 7.00 Uhr schaukelt mich das Auto fort vom Ort dieser Schrecken, um mir am nächsten Autobahnhof eine saubere Sanitäranlage zu bieten. Dort gut gestärkt geht es zu meiner Tante 50 Kilometer weiter, die am 20. Mai ihren 100jährigen Geburtstag im Heim dort feiert.
Wie Freund Dirty Harry stolz den Calvados aus Honfleur präsentiert, freut sich mein altes Tantchen über Printen aus Aachen und Ostereier aus Marzipan. Sie isst das nicht alles selber, weil sie keine solche Naschkatze sei, freue sich aber, dass sie mit anderen teilen kann.
Die Stunde bei ihr berührt mich zufiefst. Liebevoll halten ihre bald 100jährigen Hände meine Hand. Sie ist hell wach bei scharfem Verstand.
Mit meiner Frau daheim telefoniert sie lange und angeregt. Sie bittet mich mehrmals darum, allen lieben Verwandten von ihr zu erzählen, dass es ihr gut gehe und sie so sehr dankbar sei für alles, dass sie hier ein Heim habe.
Als junge Frau war sie nach dem Krieg in den ersten Jahren in einem dänischen Gefangenenlager. Dort begann sie als Lehrerin. Diese Arbeit setzte sie daheim bis zur ihrer Pensionierung fort.
Für mich sind es noch 25 Jahre bis zu diesem Alter, wenn es mir denn gegeben wäre.
Mit dieser friedvollen und schönen Erinnerung kann der Tanz in den Mai beginnen.
Steffi daheim regte an, der alten Tante noch ein Blümchen zu bringen. Diese Freude und Dankbarkeit also noch ein weiteres Mal erleben, hier mit ihrer Freundin im Heim.
Dann sind es nochmal etwa 50 Kilometer weiter bis nach Bad Rothenfelde. Dort gibt mir das Camp Asyl für eine weitere Nacht, denn mir reicht's.
Grausiger Ausklang
Zwar sollte mein Blog zunehmend frei von Politicks werden und sein. Doch - wie die Meisten - beschäftigt mich der nahe Krieg. Dem grausigen Geschechen meinen Senf zuzugeben, lässt sich einfach nicht verkneifen.
Im Krieg gibt es nur zwei Geschlechter, eins kämpft, das andere reproduziert Kämpfer. Werden Kämpfer knapp, ist auch der Einsatz von Reproduzierenden denkbar, im Kampfeinsatz kritisch. Erbeutet sie der Feind, müssen sie sich für den Feind reproduzieren.
Krieg vernichtet mittels Militärmaterial Humankapital, so das Ziel. Stirbt der Krieger keinen ruhmreichen Heldentod und ergibt er sich dem Feind, so versklavt ihn der Sieger, schreibt die Geschichte um, erzieht Frauen und Kinder um, dass die besiegten Sklaven, den Krieg in Scham, Schuld, Sünde sühnen - jetzt und immerdar.
Der Text zeichnet die Arbeit von Konquistadoren nach, deren Originalberichte mir daheim als Buch vorliegen. So trieben Wächter beispielsweise gefangene Sklaven an Fußketten gefesselt auf den Weg. Wer nicht mehr konnte, dessen Fuß wurde nicht aus der Kette aufgeschlossen und gelöst. Schneller war es, den Fuß abzuschlagen und Sklaven am Weg sterben zu lassen.
1 Kommentar:
Da beschwert sich der reisende Alt-68er erst ellenlang in jedem seiner Blogs über die bösen Messereien durch Neubürger aus dem Morgenland. Dann beschreibt er nur noch gar lieblich seine langweiligen Touren auf den Pfaden gegen seine eigenen Windmühlen. Wie alt war Don Quijote als er dasselbe tat?
Zur Zeit gehört der N0by aus seiner Sicht zu den geläuterten Bessermenschen, was ihm für seine Gesundheit zuträglich erscheint.
Morgen wird er wieder jammern, weil er seine Gebrechlichkeit spürt aber sein nahendes Lebensende nur rein theoretisch akzeptieren kann.
Und doch gehört N0by zu den Zeitgenossen, die mit dafür verantwortlich sind, was seine Sektenfreunde von damals heute an diesem Land verbrechen. Toll, Du Held!
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